Wolfstraeume Roman
eigentlich nicht wecken. Ich wusste, wie schlecht gelaunt er durch die Störung wäre, auch wenn sich die Verstimmung wieder legen würde, sobald er erfuhr, worum es ging.
»Es meldet sich immer noch niemand«, sagte die Stationsvorsteherin und legte den Hörer wieder auf die Gabel. »Möchten Sie wegen des Diebstahls gleich mit der Polizei sprechen?«
»Nein«, erwiderte ich bedrückt. »Könnten Sie mich einfach wieder durch die Sperre lassen, damit ich nach Hause fahren kann?«
Die Frau öffnete für mich die Schranke, und ich kehrte ein wenig benommen zu den Bahnsteigen zurück, wo ich die nächste U-Bahn in Richtung Downtown nahm. Dort setzte ich mich in den Pendelzug, der quer durch die Stadt fährt, bis ich zur West Side kam, wo ich in die Broadway-Bahn umstieg. Ich musste auf meinem Weg zur Arbeit dreimal umsteigen und brauchte in der Hauptverkehrszeit vierzig Minuten von Tür zu Tür. Die meisten meiner Kollegen hatten sich in der Nähe des Instituts eine Wohnung gesucht, doch Hunter war nicht willig gewesen, unser Appartement in dem Sandsteinhaus an der Upper West Side aufzugeben.
Jetzt wünschte ich mir, dass es eine Möglichkeit gegeben hätte, mein Team anzurufen und den Kollegen mitzuteilen, warum ich mich verspätete. Doch ohne Handy blieb mir keine Wahl, als bis nach Hause zu fahren. Ich tauchte also aus der U-Bahn auf und machte mich auf den Weg zum Riverside Drive. Ein für diese Jahreszeit ungewöhnlich kühler Wind zog vom Wasser herauf. Es war der kälteste Sommer seit über hundert Jahren gewesen, und jetzt schien
bereits der Herbst einzuziehen, um dem erbärmlichen Spiel ein frühes Ende zu bereiten.
Als ich schneller lief, spürte ich, wie sich in meinem Unterleib etwas verkrampfte. Ich befand mich in meinem Zyklus etwa am fünfundzwanzigsten Tag, wobei meine Periode nicht sehr regelmäßig kam. Ich gehörte eher zu den Frauen, die ganze Monate auslassen und dann eine Weile lang alle drei Wochen ihre Regel bekommen, nur um plötzlich wieder einen sechswöchigen Zyklus zu haben. Doch jetzt spürte ich eindeutig dieses weiche Ziehen in meinem Unterleib, das meist klar darauf hindeutete, es werde bald so weit sein.
Mein Gynäkologe hatte mir letztes Jahr eröffnet, dass es schwierig für mich werden könnte, schwanger zu werden. Als ich meinem Mann davon erzählte, fand er, es wäre wahrscheinlich sowieso das Beste für uns, keine Kinder zu bekommen. In Hunters Familie gab es mehrere Fälle von geistiger Umnachtung: Die Schwester seiner Mutter wurde mit neunzehn schizophren, während sich seine Mutter das Leben nahm, als er sich in der Pubertät befand. Hunter litt unter Stimmungsschwankungen, wie es bei einem Autor viele für typisch halten. Er betonte immer wieder, dass er sich nicht sicher sei, ob er überhaupt ein Kind wolle. Er hatte große Teile seiner Jugend damit verbracht, ängstlich darauf zu warten, ob der Wahnsinn auch in ihm irgendwann wie eine tickende Zeitbombe explodierte. Er befürchtete wohl, mit einem Kind die nächsten zwanzig Jahre damit zu verbringen, stets panisch auf irgendwelche Anzeichen von Irrsinn zu warten.
Im Grunde war auch ich ziemlich hin- und hergerissen, was das Elterndasein betraf. Ich war mir nicht sicher, ob ich
überhaupt zur Mutter berufen war. Meine eigene Mutter diente mir als ein Beispiel dafür, was passieren konnte, wenn man trotz fehlender Berufung ein Kind bekam. Sie gehörte zwar nicht unbedingt zur Liga der Terrormütter, aber eine Szene machte sie doch immer wieder gerne. Vielleicht hatte das etwas mit ihrem Beruf als Schauspielerin zu tun. Möglicherweise sollten sich Filmstars – selbst kleinere Fische – einfach nicht fortpflanzen.
Mein beruflicher Zeitplan ließ mir aber ohnehin keinen Freiraum für ein Baby. Dieses Jahr musste ich vor allem meine praktische Ausbildung in der Tierklinik überstehen und hatte zudem mit einem Mann zurechtzukommen, der öfter fort war als zu Hause.
Nervös warf ich einen Blick auf meine Armbanduhr, als ich von der 84. Straße aus um die Ecke bog. Endlich stand ich vor unserem Haus.
Hunter und ich wohnten seit vier Jahren in einem dieser hübschen Gebäude, die um die vorletzte Jahrhundertwende errichtet und inzwischen in verschiedene Appartements unterteilt worden waren. Wir lebten im ersten Stock in der einzigen Wohnung ohne einen Kamin. Dafür hatten wir einen Balkon, auf den wir übermäßig stolz waren, auch wenn man kaum zwei Stühle und einen kleinen Grill darauf unterbringen konnte.
Unser
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