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Wurst und Wahn

Wurst und Wahn

Titel: Wurst und Wahn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Hein
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fragte, ob es ein bisschen mehr sein darf, wurden mir die Knie weich und ich wäre vor Glück beinahe ohnmächtig geworden. Die Tasche mit dem Stück toten Tieres schien mir so leicht, dass nicht nur die Tasche selbst schwebte, sie schien auch noch mich zum Schweben zu bringen. Was für eine Freude!
    Zu Hause angekommen, erschrak ich mich zunächst. Es mag für Sie komisch klingen, Herr Kommissar, heute finde ich es ja selbst komisch, aber damals fühlte ich mich, als würde ich zum ersten Mal meine neue Freundin mit nach Hause bringen und betrachtete meine Wohnung mit diesem Blick. Meine Güte, wie sah das aus! Unmöglich konnte ich meinem Steak die Küche zeigen. Schnell räumte ich auf, warf ein paar Gläser mit veganem Aufstrich in den Müll, spülte große Tofu-Würfel die Toilette herunter und schmiss die Sojakeimlinge vom Fensterbrett. Als es akzeptabel aussah, befreite ich das leckere Stück Muskelfasern aus der Dunkelheit der Tasche und der Enge des Papiers und lege es auf meinenbesten Teller. Es sollte ein wenig atmen können, bevor ich es briet.
    Dann ging ich ins Bad, mich zu duschen, rasieren und parfümieren. Was für ein Tag! Der alte Anzug hing zwar praktisch nur an mir herunter, doch er war immer noch mein bestes Kleidungsstück. Die gusseiserne Pfanne hatte ich in der hintersten Ecke meines Topfschranks sozusagen kaltgestellt. Es schien mir fast, als schaute sie mich mit einer Mischung aus Überraschung und Beleidigtsein an, als ich sie hervorholte. Heu – te beginnt der Rest meines Le – bens!, trällerte ich. Endlich wieder die Muskeln und Sehnen von Tieren essen dürfen, die für mich umgebracht, zerteilt und verpackt wurden. Das war das wahre Leben! Na gut, vielleicht nicht so sehr für die Tiere, aber eben für mich, den wahren König der Tiere.
    Auch auf die Auswahl des Bratfetts hatte ich einige Sorgfalt verwandt und worauf war meine Wahl gefallen, Herr Kommissar? Sollte ich das Ende meiner vegetaristischen Verirrungen damit feiern, ein Stück Fleisch im Fett der Kokosnuss zu wälzen oder in Butter, die zumindest theoretisch von der Mutterkuh hätte stammen können, die dieses Stück Fleisch großziehen wollte? Nein, ich hatte mich für Schweineschmalz entschieden. Was kann es Köstlicheresgeben als ein Stück Rücken einer toten Kuh in einem Stück Bauchfett eines toten Schweins zu brutzeln?
    Mit zittrigen Fingern öffnete ich den in Papier eingeschlagenen Schmalzwürfel. Er roch so gut und tierisch fettig, dass ich mich zusammennehmen musste, nicht einfach sofort in ihn hineinzubeißen. Am liebsten hätte ich diesen leckeren Fettwürfel auf der Stelle verputzt, allein die Vorstellung war mir eine reine Freude. Allerdings hätte ich dann den großen Anlass zunichtegemacht. Es wäre, als ob ich von einer unglaublichen Schönheit zu einer Liebesnacht eingeladen worden wäre und mich auf dem Weg in ihre Wohnung aber vor Erregung bereits mit der Dame an der Rezeption zufriedengegeben hätte. Ich freute mich über diese Gedanken, ich war ins Leben zurückgekehrt. Fleischesfreude erzeugte eben Fleischesfreude.
    Als das Schmalz durchsichtig in der Pfanne schimmerte, legte ich das Steak behutsam hinein und erschrak entzückt über das sofort einsetzende Brutzeln. Wie hatte ich dieses Geräusch vermisst, wie den Bratgeruch, der sich schwer in die ganze Wohnung legte! Was wohl die Nachbarn dachten, wenn sie diese Geräusche hörten, was, wenn sie den Bratgeruch rochen – es war mir gleichgültig. Ich musste michzusammenreißen, um mir keine Verbrennungen zuzuziehen, denn am liebsten hätte ich das Steak in der Pfanne geküsst. Schon nach ein paar Sekunden hielt ich es nicht mehr aus, legte das Stück Fleisch auf denselben Teller, auf dem es vorher schon atmen konnte, dann lag es dort in einer kleinen, aber sehr schön anzusehenden Blutsuppe. Mir fiel auf, dass ich die Kräuterbutter in meinem Rausch vergessen hatte. Aber es war mir egal, sie würde mich sowieso nur von der Hauptattraktion dieses Nachmittags ablenken! Hastig und zitternd ließ ich die Sägezähne des Messers die Muskelfasern zerreißen. Die kleine braun gebratene Hülle umgab einen saftig blutigen Kern. Stück um Stück schob ich das Fleisch in den Mund und zerteilte es mit meinen verbliebenen Zähnen. Jetzt, da ich mir endlich wieder etwas Richtiges zu essen zugestand, würde sich vielleicht sogar der Gang zum Zahnarzt lohnen, überlegte ich.
    Ich kann Ihnen sagen, Herr Kommissar, das Steak, über das ich hier spreche, war groß,

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