Wurst und Wahn
und ehrlich gesagt, bin ich immer noch froh. Danke, dass Sie mir so lange Gehör geschenkt haben, Herr Kommissar. Es ist ewig her, dass mirjemand so lange zugehört hat, vielleicht ist es sogar das erste Mal. Ich bitte nicht um Nachsicht oder Gnade, ganz im Gegenteil hoffe ich sogar auf eine möglichst lange Haftstrafe, ich bitte darum. Denn ein Leben in Freiheit kann es für mich nur hinter Gittern geben. Da draußen werde ich nie wieder sicher sein, ich kann keine Straße überqueren, in keinem Restaurant, keinem Imbiss der Welt noch essen, ohne um mein Leben zu fürchten. Nach Meinung der Vegetarier habe ich eine ihrer Leitfiguren getötet und gleichzeitig nach Meinung der Karnivoren ihren wichtigsten Unterstützer. Und so widersprüchlich es klingt, haben sie alle recht.
Denn alles Fleisch, es ist wie Gras
und alle Herrlichkeit des Menschen
wie des Grases Blumen.
Das Gras ist verdorret
und die Blume abgefallen.
(1. Petrus 1, 24)
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Das Buch
Fleischesser am Rande des Nervenzusammenbruchs
Irgendwo in einem In-Viertel einer größeren deutschen Stadt, irgendwann demnächst. Bei einer Weihnachtsfeier bestellt ein junger Mann arglos eine Gänsekeule – und erntet von seinen Kollegen fassungslose Blicke und entsetzte Kommentare. Denn alle sind inzwischen Vegetarier der reinen Lehre. Eine peinliche Situation, aus der nur eines hilft: die Verkündung des Vorsatzes, ab Neujahr ›natürlich‹ vollständig auf Fleisch zu verzichten. Doch der Entzug ist schwerer als gedacht: Ein Leben ohne tote Tiere auf dem Teller ist äußerst hart. Der Mittagsteller, einst Höhepunkt des Arbeitstags, erinnert verdächtig an Liebe ohne Sex. Innerhalb kürzester Zeit schleppt sich der junge Mann energielos durch sein Leben. Schlimme Visionen plagen ihn: Bereits der Anblick von Hunden löst unbändige Gier nach hot dog bei ihm aus. Auch geht seine erotische Ausstrahlung gegen null, seitdem er wie alle Vegetarier graugesichtig, unterernährt und in schlabbrigen Leinenhosen durch die Welt läuft. Als dann noch seine Manneskraft komplett dahin ist, läuft ihm auch seine Frau davon. Als wäre er in einem Tunnel gefangen, gibt es für ihn nichts mehr als die Gier nach Fleisch. Bis endlich ein Lichtlein daherkommt – in Gestalt des Bloggers bruehwuerfel69 . Dieser nämlich befreit den jungen Mann von seinem schlechten Gewissen beim Fleischverzehr, ja mehr noch: Er wirbt ihn an für den Geheimbund der Karnivoren, die sich die Rettung der Menschheit vor dem um sich greifenden Vegetariertum auf die Fahnen geschrieben haben. Als trojanisches Pferd soll unser Held nun die Vegetarier aufmischen und möglichst viele zum Rückfall in die alte Welt der Fleischesser bewegen. Jakob Hein provoziert in seiner grandiosen Farce die Anhänger beider Fraktionen, in dem er sie mit ihren Vorurteilen konfrontiert.
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Der Autor
Jakob Hein , 1971 in Leipzig geboren, studierte Medizin in Berlin, Wien, Stockholm und Boston, promovierte und arbeitete von 1998 bis 2011 in der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Charité. Seit 1998 Mitglied der Reformbühne Heim und Welt im Berliner Kaffee Burger. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter: Mein erstes T-Shirt (2001), Formen menschlichen Zusammenlebens (2003), Vielleicht ist es sogar schön (2004), Herr Jensen steigt aus (2006) und Liebe ist ein hormonell bedingter Zustand (2009). Jakob Hein ist Vegetarier.
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Zum Schutz von Personen wurden Namen und Orte zum Teil verändert und Handlungen, Ereignisse und Situationen an manchen Stellen modifiziert.
1. Auflage 2011
Verlag Galiani Berlin
© 2011 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
eBook © 2011 by Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln
Alle Rechte vorbehalten. Kein Teil des Werkes darf in irgendeiner Form (durch Fotografie, Mikrofilm oder ein anderes Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlages reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden.
eBook-Produktion: GGP Media GmbH , Pößneck
ISBN: 978-3-86971-047-1 (Buch)
ISBN: 978-3-462-30499-2 (eBook)
www.galiani.de
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