Wurzeln
stark geschwollene Beine, das war auch eine Krankheit. Andere hatten abwechselnd Fieber und Schüttelfrost. Bei den Kindern zeigten sich Geschwüre an Armen und Beinen, die aufbrachen und schmerzten; sie sonderten eine rosa Flüssigkeit ab, die sich bald in klebrigen Eiter verwandelte, der die Fliegen anlockte.
Eines Tages taumelte Kunta beim Laufen, denn ein großes Geschwür am Bein war ihm hinderlich. Er stürzte und wurde heulend und halb ohnmächtig von seinen Spielkameraden aufgehoben. Er blutete heftig aus einem Riß auf der Stirn. Da Binta und Omoro auf dem Feld waren, brachte man ihn eilig zu Großmutter Yaisa, die sich seit einigen Tagen nicht mehr bei den Kindern hatte sehen lassen.
Sie wirkte sehr matt, das Gesicht war noch hagerer, und sie lag schwitzend unter einem Rinderfell auf dem Bambuslager. Als sie Kunta erblickte, sprang sie jedoch auf, wischte das Blut von seiner Stirn, drückte ihn an sich und schickte die anderen Kinder auf die Suche nach kelelalu -Ameisen. Als diese gebracht wurden, preßte sie die Wundränder gegeneinander, drückte die widerstrebenden Ameisen auf das Fleisch, und als die Tiere ihre Zangen beiderseits des Spalts in die Haut gegraben hatten, schnitt sie ihnen die Unterleiber ab. Die Köpfe blieben, wo sie waren, und hielten die Wundränder zusammen.
Yaisa schickte die anderen Kinder fort und hieß Kunta sich neben sie auf das Lager legen. Da lag er nun und horchte auf ihr mühsames Atmen. Nach einer Weile deutete die Großmutter auf einen Stoß Bücher auf einem Regal neben dem Bett; dies, so sagte sie leise und eindringlich, seien die Bücher seines Großvaters, und sie erzählte dem Enkel von ihm.
Kairaba Kunta Kinte sei, so erzählte die Großmutter, in seinem Heimatland Mauretanien nach fünfunddreißig Regen von seinem Lehrer, einem Meister- marabout , gesegnet und zum heiligen Mann erklärt worden. In der Familie des Großvaters habe es seit vielen hundert Regen immer einen heiligen Mann gegeben, seit den Tagen im alten Mali. Der Großvater hatte den marabout gebeten, ihn als Schüler aufzunehmen, als er im vierten kafo war, und während der folgenden fünfzehn Regen war er mit dem marabout und dessen aus Frauen, Sklaven, Schülern, Rindern und Ziegen bestehendem Gefolge im Dienste Allahs und seiner Gläubigen von Ort zu Ort gewandert, über staubige Fußpfade und durch Sümpfe, unter der stechenden Sonne und im kalten Regen waren sie von Mauretanien südwärts gezogen.
Nach seiner Einsetzung zum heiligen Mann war Kairaba Kunta Kinte dann monatelang allein durch das alte Mali gewandert, er hatte sich in Keyla, Djeela, Kangaba und Timbuktu demütig vor den großen Heiligen auf die Knie geworfen und sie um ihren Segen gebeten, den sie großmütig erteilten. Sodann lenkte Allah die Schritte des jungen heiligen Mannes südwärts bis nach Gambia, wo er erstmals in dem Ort Pakali N’Ding rastete.
Nach kurzem schon erkannten die Bewohner dieses Ortes, daß dieser junge Mann in der besonderen Gunst Allahs stand, denn seine Gebete erbrachten schnelle Erfolge. Die Kunde wurde von den sprechenden Trommeln rasch verbreitet, und bald schon suchten andere Ortschaften ihn abzuwerben, indem sie ihm durch Boten fette Jungfrauen, Sklaven und Vieh anboten. Tatsächlich übersiedelte er auch bald nach einem Ort namens Jiffarong, dies jedoch, weil Allah ihn dorthin beordert hatte; die Bewohner von Jiffarong konnten ihm für seine Gebete kaum etwas bezahlen. Und hier hörte er dann, daß in Juffure die Menschen krank wurden und starben, weil der Regen ausgeblieben war. Und so kam denn der Großvater nach Juffure, wo er fünf Tage lang ununterbrochen um Regen betete, bis Allah endlich den großen Regen schickte, der das Dorf rettete.
Der König von Barra, der über diesen Teil Gambias herrschte, hörte vom Erfolg von Kuntas Großvater und sandte ihm eine erlesene Jungfrau namens Sireng zum ersten Weibe. Mit Sireng hatte Kairaba Kunta Kinte zwei Söhne, die er Janneh und Saloum nannte.
Großmutter Yaisa hatte sich unterdessen auf dem Lager aufgesetzt und sagte mit funkelnden Augen: »Und damals sah er zum erstenmal Yaisa, die den serouba tanzte. Fünfzehn Regen war ich damals alt!« Sie verzog breit lächelnd den Mund und wies den zahnlosen Kiefer. »Seine nächste Frau konnte er ohne Hilfe des Königs wählen!« Sie schaute Kunta an. »In meinem Bauch hat er deinen Papa Omoro gezeugt.«
Kunta lag daheim an diesem Abend lange wach und dachte über das alles nach. Er hatte oft
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