Young Sherlock Holmes 4
langsam und verhielt sich so leise wie möglich. Er war sich nicht sicher warum, aber irgendwie hatte er das Gefühl, sie führte etwas Verborgenes im Schilde und wollte nicht, dass jemand etwas davon mitbekam. Jedenfalls war sie gerade mit Sicherheit nicht dabei, die Bücherregale abzustauben, denn diese Aufgabe war unter ihrer Würde und den Dienstmädchen vorbehalten.
Den Körper und einen Großteil des Kopfes noch hinter dem Buchregal verborgen, lugte Sherlock vorsichtig um die Ecke. Es
war
Mrs Eglantine. Etwa auf halbem Weg den Gang zwischen den Regalreihen entlang hatte sie sich hingekniet. Das Krinolinekleid um sich herum ausgebreitet, zerrte sie ganze Ladungen von Büchern heraus und ließ sie auf den Teppich knallen. Mit anzusehen, wie sie die Bücher so lieblos behandelte – einige lagen mit geknickten Seiten weit aufgeschlagen auf dem Boden, andere hatten eingedrückte Buchrücken –, ließ ihn innerlich zusammenzucken. Kaum hatte sie alles frei geräumt, beugte sie sich noch tiefer herab und untersuchte, das Gesicht dicht über dem Teppich, die Lücke, die sie gerade geschaffen hatte. Doch wonach auch immer sie suchte: Es war nicht da.
Mit enttäuschtem Schnauben stopfte sie rasch die Bücher zurück, sich ganz offensichtlich weder um deren ursprüngliche Reihenfolge scherend noch darum, ob sie verkehrt herum oder mit dem Rücken nach hinten im Regal landeten. Dann blickte sie plötzlich nach links – und somit zum Glück zunächst von Sherlock fort. Alarmiert zog er den Kopf zurück, gerade in dem Moment, als sie sich anschickte, das Gesicht in seine Richtung zu drehen. Er wusste, es war abstrus, doch er glaubte förmlich zu sehen, wie ihr glühender Blick den Teppich versengte und die staubige Luft durcheinanderwirbelte. Er zählte bis zwanzig und spähte wieder um die Ecke, als ein unregelmäßiges, dumpfes Poltern einsetzte. Überzeugt, dass sie unbeobachtet war, fegte Mrs Eglantine weitere Bücher aus dem Regal – diesmal aus einem höheren Regalbrett – und ließ sie auf den Boden fallen. Wieder musterte sie sorgfältig die leere Stelle, bevor sie enttäuscht das Gesicht verzog und die Bücher in einem wilden Durcheinander wieder zurückbeförderte.
»Wie können Sie es wagen, meine Bibliothek zu betreten!«, hörte Sherlock plötzlich eine Stimme rufen. »Raus mit Ihnen! Sofort!«
Schockiert blickte Sherlock auf. Dort, am anderen Ende der Regalreihen, stand Sherrinford Holmes. Er musste still und leise den Raum betreten haben, ohne dass er und Mrs Eglantine es mitbekommen hatten.
Langsam richtete sich Mrs Eglantine auf. »Sie Narr«, sagte sie langsam und jedes Wort betonend. »In diesem Haus haben Sie nichts mehr zu melden. Jetzt habe ich hier das Sagen.«
2
Sherlock stockte der Atem. Wie konnte sie es wagen, so mit seinem Onkel zu reden! Doch dann fegte eine plötzliche Woge der Freude seine Empörung hinweg: Das hier würde sie nicht überleben. Innerhalb einer Stunde wäre sie weg, ohne dass ihr jemand eine Träne nachweinen würde.
Sherrinford Holmes hielt die geballte Faust gegen sein Bein gepresst. Aber auf seinem Gesicht zeichnete sich keinerlei Entrüstung ab. Vielmehr glich sein Ausdruck eher hilfloser Frustration als dem gerechtfertigten Zorn eines Mannes, der gerade eine Bedienstete dabei ertappt hatte, wie sie in seinem persönlichen Besitz herumschnüffelte. Sherlock erwartete, dass sein Onkel vor Wut explodierte, Mrs Eglantine auf der Stelle feuerte und sie ohne Referenzen aus dem Haus warf. Doch stattdessen schüttelte dieser nur den Kopf, während seine Faust hilflos gegen seinen Oberschenkel schlug. »Sie haben kein Recht dazu!«, protestierte er.
»Ich habe jedes Recht«, entgegnete Mrs Eglantine. »In diesem Haus habe ich jedes Recht, das ich will. Jedes Recht, das auszuüben mir gefällt, denn Sie und Ihr unerträgliches Weib wissen, was passiert, wenn Sie mir jemals in die Quere kommen.«
»S … Sie sind eine gottlose, böse Frau«, stotterte Sherrinford Holmes. Er schien außerstande zu sein, Mrs Eglantines Blick zu begegnen. Stattdessen starrte er auf den Teppich herab, und Sherlock nahm bestürzt wahr, wie sich seine Augen mit Tränen füllten.
Mrs Eglantine trat mit betont langsamen und sorgfältig gesetzten Schritten zwischen den Regalreihen auf Sherlocks Onkel zu, bis sie unmittelbar vor ihm stand.
Sie war kleiner als er. Doch durch die Art, wie sie stolzierte, und durch ihre Körperhaltung wirkte es, als würde sie ihn um Längen
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