Zaehme mich
etwas.«
Sie konnte nicht aufhören zu lächeln. Sie ging zu ihm und schmiegte das Gesicht an seine Brust. »Wir werden vorsichtig sein.« Sie ließ die Hände über seinen Rücken gleiten und spürte, wie groß er war, wie kräftig.
»Vorsichtig und glücklich.«
Er drückte sie fest an sich, als hätte er Angst, als würde er von dieser Umarmung Rettung erwarten. Sie streckte den Arm nach oben und streichelte sein Gesicht. Sie küsste das lockige blonde Haar in seinem Halsausschnitt, und er sagte stöhnend ihren Namen: Ohsarah.
»Und wie nenne ich Sie?«, fragte sie sein Schlüsselbein.
»Kann ich Sie Daniel nennen?«
»Nein, das darfst du dir nicht angewöhnen. Wenn du mich in der Klasse so anredest …«
»Schon okay, in Ordnung.« Sie zog ihm das Hemd aus der Hose und ließ ihre Hand über seinen Bauch gleiten.
Die Haut dort war so weich; wäre das gekräuselte Haar in der Mitte nicht gewesen, hätte es der Bauch eines Kindes sein können. Sie war so weich, es hätte fast ihre eigene sein können.
Mr. Carr und Sarah verabredeten sich nach der Schule an der Tankstelle um die Ecke. Von dort aus fuhr er zum Toongabbie Creek, beide Hände fest auf dem Steuer, den Blick auf der Straße, und redete auf eine Weise über Lyrik, dass sie sich wünschte, sie würden nie ihr Ziel erreichen.
Doch als dann das Auto am Bach abgestellt war, hinter Büschen und Zimtahornen vor der Straße verborgen, machte Mr. Carr Dinge mit ihr, die alle Worte überflüssig werden ließen. Vögeln war entfesselte Poesie.
Bei Sonnenuntergang fuhr er sie heim. Am Ende ihrer Straße hielt er an und verbot ihr, ihn zu küssen – für alle Fälle.
»Ich will aber noch nicht nach Hause«, protestierte Sarah.
Er tätschelte ihr die Hand. »Es ist schon nach sechs. Deine Mutter macht sich bestimmt schon Sorgen.«
Sarah schnaubte verächtlich. Ihre Mutter, die siebzig Stunden pro Woche an der Universität und den Rest ihrer Zeit in ihrem Arbeitszimmer daheim verbrachte, hätte nicht einmal etwas bemerkt, wenn Sarah die ganze Nacht weggeblieben wäre. Und Sarahs Vater leistete sogar ein noch größeres Arbeitspensum als seine Frau und hatte die Existenz seiner zweiten Tochter bislang gar nicht richtig zur Kenntnis genommen. Ihrer Schwester allerdings, die ein völlig ereignisloses Leben führte, entging nichts.
Tatsächlich stürzte Kelly, die mit ihren siebzehn Jahren schon in gesetztem Alter war, sofort auf sie los, kaum dass Sarah durch die Eingangstür getreten war.
»Ich habe gelernt«, erklärte Sarah. Wenn es etwas gab, weswegen Kelly noch lieber an ihr herumnörgelte als die Frage, wo sie sich herumgetrieben hatte, war es das Lernen. Doch Kelly wollte gleich wissen, was sie gerade lernte und wo und mit wem, und überhaupt, warum konnte Sarah nicht in ihrem Zimmer lernen, das ihre Eltern schließlich mit einem Eckschreibtisch, einem ergonomischen Bürostuhl, einem Computer und einem gut bestückten Bücherregal ausgestattet hatten?
»Kümmere dich um deinen eigenen Kram«, Sarah schob sich an ihrer Schwester vorbei.
»Du weißt, dass du noch keinen Freund haben darfst.«
»Na und?«
Kelly verdrehte die Augen. »Wenn du dich nach der Schule mit einem Jungen triffst, und Mum findet es raus
…«
»Wie soll Mum es rausfinden, wenn es ihr keiner erzählt?«
»Es gibt also was zu erzählen?«
»Das werde ich ausgerechnet dir auf die Nase binden.«
Kelly setzte eine gekränkte Miene auf. » Ich würde dir alles sagen.«
»Als ob ausgerechnet du was zu sagen hättest.«
»Du bist so ein gemeines Miststück.«
»Da redet genau die Richtige.« Damit verschwand Sarah in ihrem Zimmer und dachte bis zum Abendessen über Mr. Carr nach.
Sarah und Kelly durften keinen Freund haben, weil das ihrer akademischen Entwicklung im Weg stand. Sobald sie ihr Studium begonnen hatten, waren Dates erlaubt, aber nichts Ernstes, nichts allzu Zeitraubendes. Frauen konnten es sich nicht leisten, sich durch romantische Gefühle ablenken zu lassen, solange sie noch keine feste Karriere an der Universität eingeschlagen hatten. Kelly störten diese Vorschriften nicht. In einigen Jahren, da war sie sicher, würde sie Anwältin sein, mit dreißig einen Anwalt heiraten, und mit zweiunddreißig und fünfunddreißig zwei zukünftige Anwälte zur Welt bringen. Nie würde sie es so weit kommen lassen, dass man ihr den Vorwurf machen konnte, von einem Mann abhängig zu sein. Wie ihre Mutter betrachtete Kelly die Vereinbarkeit von Lebenszielen als
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