Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
lebt? Denkst du, sie ist diejenige, von der Thaddeus gesprochen hat?«
»Möglich, aber vielleicht irre ich mich auch.« Ich kann ihm nicht die ganze Wahrheit sagen. Da ist noch zu viel, das uns voneinander trennt.
Er streckt zögernd eine Hand aus, streicht mir behutsam eine Strähne hinters Ohr und zeichnet mit den Fingerspitzen sanft die Kontur meines Kinns nach. Die Berührung hinterlässt eine brennende Silberspur auf meiner Haut. Sein Insigne. Ich schaue ihm in die Augen und warte.
»Es ist nicht so, als würde ich nichts für dich empfinden, Zara.« Er lässt die Hand sinken, hält meinen Blick noch einenMoment lang fest, dann dreht er sich um und kehrt zu Tabitha zurück.
»Zara?«
Benommen wende ich den Kopf und sehe, dass Otter neben mir steht.
»Es ist Zeit, aufzubrechen. Bist du so weit?« Sein Gesicht ist so ausdruckslos wie immer, aber er mustert mich prüfend. Und zum ersten Mal spüre ich, dass es dem Hüter nicht gleichgültig ist, was mit mir passiert.
Ich schüttle den Kopf. »Ich kann nicht mitkommen.« Allein die Vorstellung, Swift ein zweites Mal im Stich zu lassen, ist mir unerträglich.
»Was soll das heißen?«
»Ich bleibe bei den Dieben. Ich bin mir sicher, dass Floster es mir erlauben wird.«
»Nein, das wird sie nicht, und ich erlaube es auch nicht. Es wäre purer Selbstmord, wenn du hierbleiben würdest. Benedict weiß, dass du am Leben bist. Er wird jeden Stein in der Stadt nach dir umdrehen, bis er dich gefunden hat. Nicht einmal die Katakomben würden dich jetzt noch retten. Du kommst mit uns zu den Erschaffern, und wenn ich dich eigenhändig auf einem Packesel festbinden muss.«
»Du kannst mich nicht aufhalten, Otter.«
Er hält meinen Blick fest. »Sag mir, was passiert ist.«
»Das kann ich nicht!« Ich darf mit niemandem darüber sprechen. Was, wenn ich mich irre? Wenn ich mir das alles nur einbilde? Mich schaudert bei dem Gedanken daran, welches Können und welche Magie es brauchen würde, um eine Glaskugel zu einem Gefängnis zu machen. Um ein menschliches Wesen auf die Größe eines Sandkorns schrumpfen zulassen, ohne es zu töten. Mir graut sowohl vor dem Gefängnis als auch vor seinem Architekten.
Otter hat recht. Ich kann nicht hierbleiben. Aber ich kann wiederkommen. Ich werde zu den Erschaffern reisen und härter an meiner Magie arbeiten als jemals zuvor in meinem Leben, so lange, bis ich eine ebenso mächtige Großmeisterin bin wie mein Vater. Ich werde nach Asphodel zurückkehren, in den Palast meines Vaters, an den Ort, von dem ich dachte, dass dort meine Schwester starb. Ich werde den Briefbeschwerer wieder in der Hand halten und den Schlüssel zu seinem Geheimnis finden.
Ich sehe den Hüter an und nicke. »Ich habe es mir anders überlegt. Es wäre wirklich zu gefährlich, wenn ich hierbliebe. Wo ist Twiss?«
Auf einmal habe ich das überwältigende Bedürfnis, Twiss an meiner Seite zu haben. Sie ist die Einzige, die es vielleicht verstehen würde. Sie ist dort gewesen, sie hat in der Bibliothek gegen meinen Vater gekämpft, genau wie Swift. Ich werde es ihr erzählen. Nicht heute, aber bald.
»Sie verabschiedet sich gerade von Floster und den Halblingen und gibt wahrscheinlich mächtig damit an, dass sie mit uns kommen darf.« Ein kleines Lächeln stiehlt sich in seine Augen, aber sein Blick bleibt wachsam, als fürchte er, ich könne jeden Moment das Weite suchen. Er weicht mir nicht von der Seite, bis Twiss schließlich zu uns stößt.
Sie trägt eine wollene Jacke, die ihr viel zu groß ist, und hat zum ersten Mal Stiefel an den Füßen. Den Rest ihrer Sachen hat sie sich wie wir alle auf den Rücken geschnallt. Die kleine Diebin strahlt übers ganze Gesicht und platzt beinahe vor Aufregung.
»Ich bin eine … eine Abgesandte, Zara! Ich bin die erste Diebin überhaupt, die zu den Erschaffern reist!«
»Das bist du.«
Und wenn alles gut geht, werde ich die erste Magierin seit Generationen sein, die einen Fuß in eine Stadt der Erschaffer setzt.
Etwas lässt mich aufblicken. Hoch über uns am Himmel gleitet ein dunkler Umriss durch die Wolken. Es ist eine einsame Schwalbe. Die braunen Schwingen haben genau dieselbe Farbe wie ihr Haar. Sie ist gekommen, um mich zu begleiten. Um das Versprechen einzulösen, das sie mir vor all den Jahren gegeben hat. Und während ich zu der Schwalbe aufschaue, durchdringt mich auf einmal eine Freude, die so klar und sauber ist wie der Wind, der sie trägt.
Ein Teil von mir steigt zu dem Vogel hinauf und
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