Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
bloß stumm ansehe, schüttelt er mich. »Schwöre es, Zara!«
»Ich werde nirgendwohin gehen, bis du mir sagst, was du vorhast. Ich kann dich nicht einfach hier zurücklassen.«
»Du hast dir schon immer zu viele Sorgen gemacht.« Er lächelt. »Aber vergiss nicht deine Mutter und wofür sie gestorben ist. Vergiss Swift nicht. Und wenn du einem unansehnlichen alten Mann wie mir diese Bitte erlaubst … vergiss mich nicht.«
Und in diesem Moment weiß ich es: Er hat nicht vor, diesen Raum lebend zu verlassen.
»Gerontius! Nein! Das darfst du nicht!«
Er zieht mich in seine Arme und drückt mich fest an sich, dann gibt er mir einen Kuss auf die Stirn und schiebt mich sanft von sich. Und bevor ich noch etwas sagen oder tun kann, um ihn davon abzuhalten, sammelt der alte Meister seine Magie und befördert mich auf einem Windstoß zur Tür hinaus. Ich fliege durch den Korridor, pralle gegen die gegenüberliegende Wand und sinke benommen zu Boden. Ich höre, wie hinter mir die Tür zuschlägt, und als ich michmühsam aufrapple und mich umdrehe, sehe ich, wie sich vor meinen Augen das Holz in Stein verwandelt. Ich stolpere zu der Wand, die eben noch eine Tür war, und hämmere verzweifelt dagegen. Nichts weist mehr darauf hin, dass dahinter ein Raum existiert. Gerontius hat sich sein eigenes Grab gemauert.
Und ich bin seine Todesbotin gewesen.
3
I ch ging. Überließ ihn dem Tod und rannte davon. Ich glaube, ich hatte keine andere Wahl. Hätte ich die Steinmauer zum Einstürzen gebracht, hätte er sie noch im selben Moment wieder hochgezogen. Es hätte ihn die wenige Zeit gekostet, die ihm noch blieb – Zeit zu sterben. Aber wenigstens an dem Ort und auf die Weise, für die er sich entschieden hatte. Und als alleiniger Herrscher über seinen Geist. Besser, Gerontius nahm sich selbst das Leben, als es sich von Benedict nehmen zu lassen. Der Erzmagier hätte ihm dasselbe angetan wie mir damals: Er hätte seinen Geist aufgebrochen und darin gelesen. Ketzer und Verräter sind vom ersten Gebot ausgenommen.
Nun bin ich die Einzige, die noch übrig ist. Gerontius hat sich selbst getötet, um mich zu retten. Es ist nicht einfach, mit diesem Wissen zu leben.
Ich sitze in meiner Kammer. Die Fensterläden habe ich fest verschlossen. Ich will nicht sehen, wie die Sonne an diesem grauenhaften Tag untergeht. Das schwindende Licht sickert durch die Ritzen und versieht alles mit einem dünnenweißen Gittermuster, als wolle es mir dadurch deutlich machen, dass ich in Wahrheit eine Gefangene bin. Ich fühle mich taub und leer. Und unendlich allein.
Ich greife in meine Tunika, hole ein schlankes rundes Lederetui hervor, drehe den Deckel ab und lasse eine Papierrolle herausgleiten. Es ist kaum hell genug, um die Worte darauf zu lesen, aber ich kenne sie ohnehin auswendig. Ich möchte nur die geschwungenen Buchstaben sehen, die vor langer Zeit getrocknete Tinte berühren. Das Einzige in der Hand halten, das mir von ihr geblieben ist.
Gerontius hat sie mir beide zurückgegeben – Swift und meine Mutter. Er holte sie aus dem Dunkel und erweckte sie wieder zum Leben.
Bis zu dem Winter, in dem ich zehn wurde, kannte ich die Geschichte meiner Mutter nicht. Fast ein Jahr lang war ich mehr tot als lebendig gewesen. Eines frostigen Nachmittags dann ließ mich der kauzige alte Tutor, über den die anderen Schüler spotteten, weil er mottenzerfressene Roben trug und wie ein Einsiedler in einem der verlassenen Räume unter dem Dach der Akademie hauste, am Ende des Unterrichts nachsitzen. Ich hatte es als Einzige nicht geschafft, ein Stück Eisen rosten zu lassen.
Ich saß in mich zusammengesunken auf einer Bank, starrte fröstelnd auf die Steinfliesen zwischen meinen Füßen, zog deren verblasstes rotes Muster mit der Stiefelspitze nach und wartete darauf, für mein Versagen bestraft zu werden. Ich wartete. Und als nichts geschah, blickte ich auf.
Gerontius lehnte mit verschränkten Armen an seinem Pult und betrachtete mich. Nachdem wir uns einen Moment lang schweigend angesehen hatten, sagte er: »Es ist mehrvon deiner Mutter in dir als von deinem Vater. Ich frage mich nur, wie viel?«
Mir klappte der Mund auf. Man sprach nicht von meiner Mutter. Nie.
»Mach den Mund wieder zu, das sieht töricht aus.« Der alte Mann zog eine Braue hoch. »Kein Kind von Eleanor – oder auch von Benedict – könnte so dumm sein, wie du gerade den Anschein erweckst.«
Ich schloss den Mund und setzte mich aufrecht hin. Zum ersten Mal seit einem
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