Zara von Asphodel - Rebellin und Magierin: Roman (German Edition)
Jahr rührte sich etwas in mir. Auf einmal spürte ich, was mir schon die ganze Zeit hätte auffallen müssen: Gerontius war nervös. Und er mochte meinen Vater nicht. Als er Benedicts Namen ausgesprochen hatte, war seine Abneigung so deutlich zu hören gewesen wie das Läuten der Stadtglocken.
»Du bist klüger als alle anderen deines Jahrgangs, dennoch versuchst du noch nicht einmal, etwas zu lernen. Warum?«
Mein Mund presste sich zu einer trotzigen dünnen Linie zusammen. Es würde also doch bloß eine der üblichen Strafpredigten werden. Er war wie alle Tutoren. Sie tadelten, übten Druck aus, bestraften. Aber keiner von ihnen konnte mich dazu bringen zu lernen. Eher war ich bereit zu sterben, als ein Meister zu werden wie Benedict. Ich verfluchte die Tatsache, in das Magiergeschlecht hineingeboren worden zu sein, auch wenn ich wusste, dass dieser Gedanke verrückt war oder ketzerisch oder beides. Ich tat an der Akademie gerade genug, um meinen Vater davon abzuhalten, mich … Nein. Daran würde ich nicht denken. Ich schauderte und heftete den Blick wieder auf den Boden.
»Letztes Jahr ist etwas mit dir geschehen. Ich weiß, was es war.«
Ich wagte es nicht, aufzuschauen. Mein Herz begann schneller zu klopfen. Was würde als Nächstes kommen? Was wusste dieser alte Mann über mich?
»Du hast sie Swift genannt. Der Name passte zu ihr, aber du hast dir nie die Mühe gemacht, sie nach ihrem richtigen Namen zu fragen, habe ich recht?«
Ich hob ruckartig den Kopf. Dann sprang ich von der Bank auf und wich zur Tür zurück. Noch bevor ich sie erreicht hatte, schlug sie mit einem lauten Knall zu.
»Du wirst nicht davonlaufen, Zara. Deine Mutter war kein Feigling.«
Es dauerte einen Augenblick, bis ich wieder Luft bekam und sprechen konnte. »Woher wisst Ihr das?«, stieß ich hervor.
Ein trauriges Lächeln huschte über sein Gesicht. Ich spürte einen Anflug von Einsamkeit durch den Raum wehen, schwach wie der Duft nach Rosmarin aus dem vergangenen Sommer. »Weil ich sie wie eine Tochter geliebt habe«, sagte er. »Ich wette, du kommst nach ihr. Ich kann mich irren, aber das glaube ich nicht. Ich habe den Brief gelesen, musst du wissen. Vielleicht hätte ich ihn nicht lesen sollen, doch ich setze auf dich, obwohl die Chancen denkbar ungünstig für mich stehen. So wie sie auch für sie ungünstig standen.«
Brief? Die anderen Schüler hatten recht: Der alte Mann war verrückt. Aber verrückt oder nicht, er hatte meine Mutter geliebt – an seinen Gefühlen gab es keinen Zweifel. Ich wusste, dass es dumm war, ihm zu vertrauen und die Fragenzu stellen, die mir durch den Kopf schossen. Doch die Versuchung war einfach zu groß.
»Von wem sprecht Ihr? Von meiner Mutter oder von Swift?«
»Von beiden.« Er lächelte über die Verwirrung, die sich in meinem Gesicht widerspiegeln musste.
»Deine Mutter war die beste Schülerin, die ich je unterrichtet habe. Abgesehen von Benedict, möge seine Seele verrotten. Ich habe nie verstanden, warum sie mit ihm geschlafen hat. Aber die Natur macht uns eben alle zu Toren, wenn wir jung sind. Es ist sehr lange her, seit ich mir über solche Dinge den Kopf zerbrechen musste, den Göttern sei Dank.«
Gerontius rieb sich über die Nasenwurzel. »Eleanor war eine Ketzerin, Zara. Deine Mutter war davon überzeugt, dass Vieh menschlich ist wie wir. Schockierend, nicht wahr?«
Er wandte den Blick nicht von mir ab, sein breites, von roten Adern durchzogenes Gesicht mit den kleinen, scharfsinnigen Augen blieb so ausdruckslos, als erörtere er die Vorgehensweise, aus Luft Wasser zu ziehen und damit Eisen zu zersetzen. Ich zitterte innerlich vor Angst. War das eine Falle? Hatte mein gerissener und niederträchtiger Vater mir einen Hinterhalt gestellt? Oder war dieser Mann ein Wunder?
Seine Augen wurden schmal. Ich war zu fassungslos, um meine Miene zu kontrollieren. Falls dies eine von Benedicts Prüfungen war, hatte mein Tutor bereits genug gesehen, um mich zu überführen.
»Schockierend«, wiederholte Gerontius. »Es sei denn, du wärst selbst auch davon überzeugt. Wir bezeichnen sie als›Vieh‹. Nutztiere. Aber du weißt es besser. Wenn ich mich nicht irre, bist du eine Empathin – genau wie Eleanor. Du hast mein ganzes Mitgefühl. Es ist eine unglaubliche Bürde, den Schmerz, die Wut, die Freude und die Liebe anderer mitempfinden zu müssen. Doch wenigstens kannst du nicht so tun, als wären sie keine Menschen. Ich verwette mein Leben darauf, dass ich recht habe. Du hast
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