Zauberkusse
würde denken, dass ich vor nicht einmal vierundzwanzig Stunden das wahre Gesicht eines gewissen Gregor Landahl gesehen und ihn daraufhin endgültig vor die Tür gesetzt habe. Na schön, mit tatkräftiger Unterstützung von Frau Saalberg und ihrem Fleischermesser. Es ist ein gutes Gefühl, zu spüren, dass mich auch andere Dinge glücklich machen können. Solche, die nichts mit einem Mann zu tun haben und dem sehr flüchtigen Phänomen der Liebe. Was für eine sagenhafte Idee! Das wird der Knaller! Ein Szene-Café mit hauseigener Hexe, so etwas hat es noch nicht gegeben. Nach den rationalen Neunzigern sind Spiritualität und Überirdisches im Moment total »in«. Liest man ja überall.
Mit doppeltem Eifer stürze ich mich in die Verwirklichung meines Traums. Meinen Job im L’Auberge habe ich jetzt, kurz vor der Eröffnung, endlich gekündigt. Es ist ein tränenreicher Abschied:
»Ich hätte nie gedacht, dass du uns einmal verlassen würdest. Es ist ein Verlust. Ein schwerer Verlust«, hält Norbert nach meiner letzten Schicht seine Abschiedsrede und blinzelt verstohlen eine Träne weg. Gerührt stehe ich da und drehe mein Sektglas in den Händen. »Du bist ungelogen die beste Kellnerin, die ich je hatte«, trägt er dick auf und ich sehe mich unbehaglich um. Julia und Katja freuen sich verständlicherweise weniger über dieses Kompliment. »Aber«, schwenkt Norbert um, als er ihre Blicke sieht, »dieser Platz ist jetzt neu zu vergeben, also strengt euch an, Mädels.« Sollte das nett gemeint sein? Ich verdrehe die Augen, trete einen Schritt auf meinen Boss zu und stoße mit ihm an, bevor er noch die ganze Belegschaft gegen sich aufbringt.
»Danke«, bremse ich seinen Redefluss, »ihr werdet mir auch schrecklich fehlen. Ich hoffe, ihr kommt öfters mal bei mir vorbei. Auf einen Kaffee oder eine Runde Tarot.«
»Ach ja, was ich noch sagen wollte«, väterlich legt mir Norbert bei diesen Worten den Arm um die Schulter, »sollte sich herausstellen, dass deine Hexenküche doch keine so bombige Geschäftsidee war, dann kannst du jederzeit gerne zu uns zurückkommen. Wir freuen uns, nicht wahr?«, fragt er in die Runde und alle nicken. Ich sehe ihn scharf an und sage:
»Was hast du da eben gesagt?« Er macht ein ganz verdutztes Gesicht und hebt dann abwehrend die Hände in die Höhe.
»Versteh das nicht falsch, Luzie. Es ist nicht so, dass ich glaube, dass du scheitern wirst. Oder es gar hoffe.« Langsam schüttele ich den Kopf, während er panisch mit den Händen hin- und herwedelt, um seinen Fehler wieder auszubügeln: »Es sollte bloß ein nettes Angebot sein. Das du natürlich sowieso niemals in Anspruch nehmen wirst, nicht wahr? Nur ein Angebot.«
»Nein, ich …«, beginne ich, da schreit er panisch:
»Mädchen, nun versteh doch nicht alles falsch, was ein von Trauer gebeutelter, alter Mann daherredet. Ich glaube an dich, das musst du mir glauben!« Mit beiden Händen fasst er mich bei den Armen und schüttelt mich leicht: »Wie kannst du etwas anderes denken?«
»Tue ich doch gar nicht. Ich wollte doch nur wissen, was du da gerade gesagt hast. Hexenküche?«, vergewissere ich mich und er nickt verständnislos. Ein breites Grinsen stielt sich auf mein Gesicht. »Hexenküche«, wiederhole ich, mehr zu mir selbst. Logisch! Warum ich da nicht selber drauf gekommen bin? Man kann was essen und wird bezaubert! »Hexenküche. Das ist gut.«
Der Countdown läuft, bis zur Eröffnung der »Hexenküche« sind es nur noch wenige Tage und ich weiß vor lauter Organisationskram nicht mehr, wo mir der Kopf steht. Flyer und Speisekarten müssen gedruckt, Geschirr organisiert, der beste Kaffeelieferant verpflichtet, Verträge abgeschlossen werden. Ich bekomme einen halben Nervenzusammenbruch, als ein zwei mal einen Meter großes Leuchtschild geliefert wird, das den Schriftzug »Café Engel« trägt.
»Was soll das?«, brülle ich so laut, dass der Lieferant, der sich soeben wieder auf den Sitz seines Wagens schwingen wollte, mitten in der Bewegung verharrt. Ich lasse einen Schwall von Beschimpfungen auf ihn niederregnen, bis ihm die Tränen in die Augen treten. Das bringt mich wieder ein bisschen runter. Du liebe Güte, wie alt mag er sein? Der hat vermutlich erst letztes Jahr seinen Führerschein gemacht. Ich sehe in seine feuchten, braunen Augen, während er hilflos Entschuldigungen stammelt und beteuert, dass er nur ein ahnungsloser Fahrer ist.
»Tschuldigung, das weiß ich ja«, lenke ich ein und schleppe den wie
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