Zauberschiffe 05 - Die vergessene Stadt
konnte sich ungefähr denken, was sie mit ihm machen würden.
Gefährtin Serilla hob den Kopf und blickte auf die Menge.
Zum ersten Mal sah Ronica ein Leuchten auf dem Gesicht der Frau, das tatsächlich von innen zu kommen schien. Sie blickte dem Mann nicht einmal hinterher, den sie gestürzt hatte. Jetzt stand sie ganz allein da und hatte in diesem Augenblick die Lage vollkommen unter Kontrolle.
»Wir dürfen Roed Caern nicht tolerieren und auch niemanden, der wie er denkt«, erklärte sie laut. »Er versucht Zwietracht zu säen, wo wir doch Eintracht brauchen. Er wendet sich gegen die Autorität der Satrapie, als wäre die mit dem Tod des Satrapen Cosgo untergegangen. Ihr wisst, dass dem nicht so ist! Hört auf mich, Volk von Bingtown. Ob der Satrap lebt oder nicht, spielt im Moment keine Rolle. Wichtig allein ist, dass er mir seine Autorität hinterlassen hat, damit ich die Bürde seiner Herrschaft übernehmen kann, wenn er untergehen sollte. Ich werde ihn nicht im Stich lassen – und auch nicht seine Untertanen! Was ihr auch immer sein mögt, ihr seid ohne Ausnahme Untertanen des Satrapen, und die Satrapie herrscht über euch. Hierin zumindest könnt ihr gleich und einig sein.«
Sie machte eine Pause und blickte die Personen nacheinander an, die mit ihr auf dem Podest standen. »Keiner von euch wird hier gebraucht. Ich bin in der Lage, für euch alle zu sprechen. Und mehr noch: Welchen Vertrag ich auch immer mit der Drachenkönigin aushandle, er wird euch alle gleichermaßen binden. Ist das nicht das Beste? Dass jemand, der keine persönliche Bindung an Bingtown hat, für euch alle spricht, ganz unparteiisch?«
Sie hätte beinahe Erfolg gehabt. Nach Roeds Verhalten klangen ihre Worte ganz vernünftig. Ronica beobachtete, wie die Leute sich gegenseitig ansahen. Doch dann machte Dujia auf der anderen Seite des Podestes den Anfang. »Ich spreche für alle Tätowierten, wenn ich sage, dass wir genug von der ›Gleichheit‹ haben, die der Satrap uns aufgebürdet hat. Jetzt werden wir unsere eigene Gleichheit schaffen, als Bürger von Bingtown und nicht als Untertanen von Jamaillia. Wir werden eine Stimme bei dem fordern, was dem Drachen versprochen werden soll. Zu lang schon haben andere über unsere Arbeit und unser Leben bestimmt. Das werden wir nicht länger dulden!«
»Genau das habe ich befürchtet!«, mischte sich Mingsleh ein.
Er deutete mit einem zitternden Finger auf die Tätowierte. »Ihr Sklaven werdet alles verderben! Ihr wollt nur Rache! Ihr werdet zweifellos alles tun, was in eurer Macht steht, um die Drachenkönigin zu provozieren, damit sie ihren Zorn gegen eure Herren richtet. Aber wenn das alles vorbei ist, wenn eure Herren, die Neuen Händler, alle tot sind, werdet ihr noch dieselben sein wie jetzt. Ihr seid nicht in der Lage, euch allein zu regieren. Ihr habt vergessen, was es heißt, Verantwortung zu übernehmen. Der Beweis ist euer Verhalten, seit ihr eure rechtmäßigen Herren verraten habt. Ihr seid wieder zu dem geworden, was ihr wart, bevor eure Herren euch kontrolliert haben.
Sieh dich selbst an, Dujia. Du warst erst eine Diebin und dann eine Sklavin. Du hast dein Schicksal verdient. Du hast dir dein Leben selbst ausgesucht. Du hättest es akzeptieren sollen. Aber alle deine Herren stellten fest, dass du eine Diebin und eine Lügnerin bist, bis die Zeichen von denen, denen du dienen solltest, über diesen Wangen bis zu deinem Hals herunterreichten.
Du solltest nicht einmal hier sein und das Recht haben zu sprechen.
Ihr guten Menschen von Bingtown, die Sklaven bilden kein eigenes Volk, keine Einheit, außer vielleicht dadurch, dass sie für ihre Verbrechen gezeichnet worden sind. Dann könntet ihr auch den Huren oder den Taschendieben Stimmrecht geben.
Hören wir auf Serilla. Wir sind alle Jamaillianer, Alte Händler und Neue Händler, und wir sollten damit zufrieden sein, dem Wort des Satrapen zu gehorchen. Ich spreche für die Neuen Händler, wenn ich sage, ich akzeptiere, dass Gefährtin Serilla mit der Drachenkönigin für uns verhandelt.«
Serilla hatte still und aufrecht dagestanden. Sie lächelte, und es wirkte fast echt. Dann blickte sie an Mingsleh vorbei, um auch Dujia in ihr Lächeln einzubeziehen. »Als Vertreterin des Satrapen werde ich natürlich für euch verhandeln. Für euch alle. Der Neue Händler Mingsleh hat seine Worte nicht gründlich genug durchdacht. Hat er vergessen, dass jetzt sogar einige in Bingtown eine Tätowierung tragen, deren einziges Verbrechen
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