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Zehn Mythen der Krise

Zehn Mythen der Krise

Titel: Zehn Mythen der Krise Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heiner Flassbeck
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berücksichtigt. Da auch die Beschäftigung nicht steigt, sinken die Realeinkommen des Großteils der Konsumenten, die wiederum mit Nachfragezurückhaltung reagieren. In Europa werden viele Länder gezwungen, das zu tun, was Deutschland getan hat, nämlich für stagnierende oder fallende Löhne zu sorgen; Japan hat in den letzten zwanzig Jahren überhaupt keine normalen Lohnsteigerungen mehr erlebt.
    Da es für diese drei großen Wirtschaftsräume kein Exportventil auf dieser Welt gibt, das sie erlösen könnte, führen stagnierende private und schrumpfende öffentliche Nachfrage wegen staatlicher Konsolidierungsversuche zu einem Szenario, auf das die aufgeblasenen Finanzmärkte mit einer neuen Krise reagieren. Was als »Aufschwung« an den Finanzmärkten im Frühjahr 2009 begann, hätte von einem Aufschwung bei den Einkommen der Menschen unterlegt sein müssen, um dauerhaft Werte zu schaffen. Diesen Aufschwung aber gab es nicht, weil nach der ersten Anregung durch die Finanz- und Geldpolitik die Macht der Unternehmen verhindert hat, dass der durchschnittliche Verbraucher mit einer Verbesserung seiner Situation rechnen konnte.
    Die Konsequenzen sind einfach und dramatisch zugleich: Begreift die Welt diesen Zusammenhang sehr bald und gelingt es, über eine staatlich koordinierte Lohnpolitik die Macht der Unternehmen zu brechen und die Voraussetzungen für positive Einkommenserwartungen wiederherzustellen, kann man auf die Rückkehr alter zyklischer Muster hoffen. Falls nicht, kann es Wachstum nur noch über neue staatliche Ankurbelungsprogramme geben. Schließt man diese aus, weil die »Märkte« und die Politik sich vor neuen staatlichen Schulden fürchten, ist das japanische Szenario der zwei in Stagnation und Deflation verlorenen Jahrzehnte das wahrscheinlichste Ergebnis. Die politischen Folgen einer solchen Entwicklung mag man sich nicht ausmalen.
    Gerade in Deutschland hat kaum jemand zur Kenntnis genommen, wie fundamental sich das deutsche Wirtschaftsmodell seit Mitte der Neunziger verändert hat. In der Ära des deutschen Wirtschaftswunders der sechziger Jahre war, wie oben schon angedeutet, die Verteilung der Schulden und der Ersparnisse vollkommen anders als zuletzt. In den Sechzigern waren die Salden sowohl der anderen Länder als auch des Staates relativ ausgeglichen, während die privaten Haushalte auch damals einen nicht unerheblichen Teil ihres Einkommens sparten. Den Gegenposten zu den Ersparnissen der privaten Haushalte bildeten aber vor allem die Unternehmen, die sich in hohem Maße verschuldeten, zugleich aber sehr dynamisch investierten. Der Kontrast zur gegenwärtigen Situation könnte nicht größer sein. Seit 2002 sind die deutschen Unternehmen Nettosparer in Höhe von immerhin zwei Prozent des Bruttoinlandsproduktes.
    Der Gegenposten dazu ist, insbesondere in der jüngsten Phase, das extrem stark gestiegene Defizit der anderen Länder. Gleichzeitig investieren die Unternehmen weniger als zu irgendeinem Zeitpunkt in den letzten fünf Jahrzehnten. Das ist ein Bruch der wirtschaftspolitischen Konzeption in einer nur historisch zu nennenden Dimension: In Deutschland wurde die Politik einer einseitigen Förderung der Unternehmensgewinne durch den Staat und durch die Tarifpartner (lange Zeit »Angebotspolitik« genannt) offenbar so weit getrieben, dass die Unternehmen sprichwörtlich nicht mehr wissen, wohin mit dem Geld, weshalb sie es nicht in Sachanlagen investieren, sondern zum Kapitalmarkt tragen, um es von Investmentbankern im globalen Spielkasino mehren zu lassen (vgl. Flassbeck/Spiecker 2011).
    Die Mechanismen, über welche diese dramatische Saldenverschiebung gelaufen ist, waren ohne Zweifel die jahrelange Lohnzurückhaltung und die Steuersenkungen für Unternehmen. Für die deutschen Unternehmen brachte diese Strategie einen riesigen Zuwachs an Wettbewerbsfähigkeit, für die in der Europäischen Währungsunion vereinigten Länder einen riesigen Verlust. Es ist also genau das eingetreten, was keynesianisch ausgerichtete Ökonomen immer vorhergesagt haben: Man kann mit relativer Lohnsenkung den Nachbarn Marktanteile abjagen, wenn diese Abwertung über die Löhne nicht durch eine Aufwertung der Währung ausgeglichen wird. Man wusste aber gleichwohl, dass ein Land, das eine solche Strategie einschlägt, bei der Binnenkonjunktur mehr verliert, als es beim Export gewinnt.
    Da die Unternehmen ihre exorbitanten Gewinne fast ausschließlich im Außenhandel erzielten, die inländische Nachfrage aber

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