Zehn Mythen der Krise
Mediengesellschaft durch die Krise; man streift dabei zwar immer wieder einmal kurz die Oberfläche der Probleme, steigt dann allerdings, erschrocken ob der Abgründe, die man erblickt, sofort wieder in die warme ideologische Wolke auf. Geleitet wird die Mediengesellschaft dabei von einer Diszi-plin, die sich als Hohepriester des Glaubens an die Freiheit der Märkte versteht und diese ideologische Position mit Zähnen und Klauen, die Macht des Geldes allzeit hinter sich wissend, verteidigt. Nur Aufklärung, Entmythologisierung, kann hier eine Wende erzwingen.
Um erfolgreich zu sein, braucht die Aufklärung jedoch offenkundig die Krise. Erst wenn alle Versuche der herrschenden Lehre, die Grundlagen für erfolgreiches Wirtschaften wiederherzustellen, endgültig und grandios scheitern, hat die Aufklärung eine Chance. Dieser Augenblick könnte jetzt, wo die Hoffnung auf einen schnellen Aufschwung stirbt, gekommen sein. Eine Rezession mit steigenden Staatsdefiziten in einer Zeit, wo die Verminderung der Staatsdefizite oberstes Ziel aller Politik ist, schafft den Kairos für Entmythologisierung. Erst wenn alle Dämme brechen, hört man nicht mehr auf die Experten, die über Jahre erklärt haben, die Dämme seien absolut sicher.
MYTHOS I:
Finanzmärkte sind effizient und fördern unseren Wohlstand
Fast alle Ökonomen glauben, dass Finanzmärkte in der Regel effizient sind. Für effizient halten die Ökonomen einen Markt, der alle vorhandenen Informationen bei der Preisbildung berücksichtigt. Was aber sind alle vorhandenen Informationen? Schon hier ersetzt Fiktion das wirkliche Leben. Weit über neunzig Prozent aller Ökonomen dürften glauben, »alle Informationen« seien die Informationen, die alle Marktteilnehmer, sei es auf der Angebots- oder auf der Nachfrageseite, quasi mit sich herumtragen und mit deren Hilfe sie auf dem Markt ihr Angebot an Arbeit oder Gütern bzw. ihre Nachfrage nach beidem entfalten. Das ist ein schönes Modell. Man sieht förmlich die Marktteilnehmer vor sich, wie sie auf einem festlich geschmückten mittelalterlichen Platz hin und her gehen um herauszufinden, wie viel Nachfrage es heute für ihre Produkte gibt oder welchen Preis sie für die von ihnen gewünschten Güter und Dienstleistungen zahlen müssen.
Leider ist das schöne Bild nur ein Märchen. Es ist bereits auf vermachteten Arbeitsmärkten fundamental falsch, wo die Unternehmen bei hoher Arbeitslosigkeit die Löhne diktieren und nicht aushandeln. Es ist allerdings auch auf vielen Güter- und Dienstleistungsmärkten falsch, wo nicht reiner Wettbewerb die Preisbildung beherrscht, sondern wenige Unternehmen um die »Marktführerschaft« kämpfen oder den Kuchen gar unter sich aufteilen. Geradezu grotesk falsch ist es dann allerdings auf den Finanzmärkten, wo mit Informationen über die Zukunft gehandelt wird. Da wir nun mal keine verlässlichen Informationen über die Zukunft haben, sondern einzeln oder im Kollektiv raten, ist schon die Aussage, es gäbe so etwas wie »alle vorhandenen Informationen«, eine massive Irreführung.
An Finanzmärkten macht man in der Regel nicht dadurch Gewinn, dass man Dinge erwirbt, die man für den eigenen Lebensunterhalt oder die eigene Produktion braucht und verbraucht, sondern dadurch, dass man bestimmte Vermögenstitel ( assets ) günstig ein- und zu einem höheren Preis wieder verkauft. Ob es dabei um Anteilsscheine an Unternehmen, an Häusern, an Rohstofferlösen oder an Währungen geht, ist unbedeutend. Der Akteur will ja nichts verbrauchen, sondern das gekaufte Papier nur an einen anderen Akteur weiterverkaufen (beide treffen Entscheidungen über ihren Vermögensbestand, nicht eine Verbrauchs- oder Produktionsentscheidung, die unmittelbar ihr Einkommen in der laufenden Periode berührt). Zudem macht es im Prinzip keinen Unterschied, ob man Papiere hält, deren Wert steigt, wenn das dem Papier zugrunde liegende asset an Wert gewinnt oder deren Wert dadurch steigt, dass ein asset , gegen dessen Wertverlust man sich versichert hat, an Wert verliert, wie bei den mittlerweile zu notorischer Berühmtheit gelangten credit default swaps .
Der Preis eines Vermögenstitels, etwa einer Aktie, steigt aber auf modernen Finanzmärkten, an denen enorme Mengen liquider Mittel zum Einsatz kommen, nicht dann, wenn es angesichts der Fundamentaldaten eines Unternehmens geboten wäre, sondern genau dann, wenn viele Finanzmarktteilnehmer überzeugt sind, dass der Preis dieser Aktie steigen wird, oder wenn sie
Weitere Kostenlose Bücher