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Zehn zärtliche Kratzbürsten

Zehn zärtliche Kratzbürsten

Titel: Zehn zärtliche Kratzbürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arto Paasilinna
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einer Scheibe Zitrone , dazu zwei leckere Sandwiches, die Annikki mal mit gebeiztem Lachs, mal mit Schinken, Mettwurst oder anderem Au f schnitt belegte und mit ein paar Zwiebelringen, Scheiben von Kiw i früchten oder gekochtem Ei garnierte. Rauno aß also vom Fußboden wie eine Hauskatze oder ein Hund. Das war sehr praktisch, so brauchte er nicht extra aufzustehen und sich nach unten an den Frühstückstisch zu bemühen. Neben seinem Bett stand ein schmaler, hochbeiniger Tisch, an der Unterseite der Platte hatte Rauno zwei Leselampen festgeschraubt, deren Lichtstrahl auf den Fußboden gerichtet war. Oben auf dem Tisch lagen ein Stapel Bücher, einige Pillenschachteln, Schreibutensilien und das Handy. Wenn Annikki unten ihren Morgenkaffee getrunken hatte, kehrte sie noch einmal ins Bett ihres Mannes zurück und machte, an seinen Rücken gelehnt, ein Schläfchen. Diese morgendlichen Rituale zeugten von der tiefen Bindung der Eheleute, von einer wirklich schönen Beziehung.
    Durch die offene Flügeltür flog eine muntere Kohlmeise herein und setzte sich im Wohnzimmer auf den Lampenschirm. Den hatte einst Annikki ausgesucht, es war eine stilvolle, große Glaskugel, die von Annikkis sicherem Geschmack zeugte. Das Wohnzimmer glich eigentlich mehr einem großen Saal, es war mehr als dreizehn Meter lang und fast sechs Meter hoch. Am anderen Ende des Hauses lag ein zwanzig Quadratmeter großer Raum, dort befand sich das Arbeit s zimmer des Hausherrn, dahinter lagen die Schlafzimmer und der Saunabereich.
    Die Meise musste verjagt werden, denn bald würden die G e burtstagsgäste eintreffen, und es wäre ein Unding , wenn der Vogel, vom Trubel verängstigt, seine Klackse in die Champagnergläser der Herrschaften oder auf die Frisuren der Damen fallen ließe. Rauno rannte nach unten ins Erdgeschoss und öffnete alle Türen und Fen s ter. Annikki klatschte in die Hände, aber die Meise begriff nicht, wohin sie fliegen sollte. Sie hatte den kleinen Kopf schräg gelegt und sah zu, wie der nackte Mann auf einen Küchenhocker stieg und sie zu verjagen versuchte. Als er schon fast die Hand an der Glaskugel hatte, flatterte die Meise auf die Gardinenstange – die Vorhänge bestanden aus weißem Stoff mit Reliefmuster, ebenfalls ausgewählt von Annikki. Das Geburtstagskind sprang vom Hocker und griff nach dem Mopp. Wieder flüchtete der Vogel, und da klingelte es an der Haustür.
    Rauno Rämekorpi ging, um zu öffnen. Draußen stand die junge Botin eines Blumengeschäftes. Mit sachkundigem Blick musterte sie den älteren Herrn im Adamskostüm. Rauno war keine üble Ersche i nung: groß und stabil gebaut, stramme Waden und Schenkel, ums Gemächt ein dichter Pelz, ein ziemlich praller Bierbauch, eine behaarte Brust, ein kräftiger Hals und ein typisch finnisches Gesicht mit breiter und hoher Stirn, die in einem dichten, feuchten Haa r schopf endete. Ein Kerl wie ein Baum, sagte sich die junge Frau. Sie schätzte, dass er an die neunzig Kilo wiegen mochte. Mit ihm könnte man durchaus eine Menge Spaß haben. Gemeinsam trugen sie drei riesigen Blumensträuße ins Haus.
    Annikki: Rauno, ich kümmere mich darum. Geh sofort und zieh dich an.
    Rauno: Aber erst muss die Meise verjagt werden.
    Annikki: Begreifst du nicht, dass du nichts anhast?
    Rauno: Mir ist nicht kalt, ich komme ja gerade aus der Sauna.
    Die Blumenbotin erklärte, dass sie sich darauf verstehe, verirrte Vögel aus Innenräumen zu vertreiben. Jetzt im Herbst, da es kühler wurde, kamen manchmal gleich mehrere durch das Lüftungsfenster in den Blumenladen, einmal hatte sich ein Dompfaff in einer kanad i schen Thuja ein Nest gebaut und dort seine Eier ausgebrütet, zwölf Junge waren geschlüpft.
    Rauno Rämekorpi glaubte die Geschichte nicht. Er sagte, dass der Dompfaff seines Wissens am Boden oder in Steinhöhlen niste, und im Herbst ganz sicher nicht, die Zeit sei vorbei. Es sei schlicht unnormal zu behaupten, dass es im Blumenladen das Nest eines Dompfaffs und eine Schar Jungvögel gebe.
    Die junge Frau war über diese Bemerkung sichtlich erbost. Sie erklärte nachdrücklich, dass es ihrer Meinung nach auch keineswegs normal sei, dass sich vor ihr ein nackter Kerl spreize. Da sei es weit normaler, wenn ein Dompfaff im Blumenladen niste. Sie fand, Normalität sei einfach nur das, was die Masse tue: Wenn also jeder Kerl seine Klagen über die Blumenbotin unbekleidet loswürde, dann wäre das okay, aber dies hier sei schließlich das erste Mal, dass ein Kunde splitternackt

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