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Zehnundeine Nacht

Zehnundeine Nacht

Titel: Zehnundeine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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«In einem Krankenhaus hätte es Ärzte gegeben. Pfleger. Hier war niemand. Nur die Menschen in ihren Betten. Immer einer neben dem andern.»
    «Ich war heute im Krankenhaus», sagte der König. «Es stinkt da so sauber. Wie auf dem Bahnhofsklo.»
    «Hier roch man nichts. Man hörte nur die Maschine. Ein dumpfes Wummern, ein helles Pfeifen. Die Geräuschekamen aus einem oberen Stockwerk, aber da war nirgends ein Aufgang.
    Der junge Mann ging so durch die Reihen, wie er es sich draußen für die Straßen vorgenommen hatte: immer geradeaus. Die Betten waren alle gleich angeordnet. Die Köpfe rechts, die Füße links. Die Menschen mit ihren leeren Gesichtern bewegten sich nicht, nur ihre Schläuche pulsierten im Takt.
    Ein Wummern, ein Pfeifen.
    Irgendwann, es war ein langer Weg gewesen, kam er zur gegenüberliegenden Wand, in der auch wieder eine Öffnung war. Keine Tür, nur eine Öffnung.
    Die Temperatur draußen war genau gleich wie die drinnen. Da gab es keinen Unterschied.
    Auf der andern Straßenseite – wenn man es denn, so ganz ohne jeden Verkehr, eine Straße nennen konnte – war das nächste Gebäude. Und wieder eine Öffnung. Hier waren von außen keine Motorengeräusche zu hören, sondern Stimmen. Sie schienen durcheinanderzureden oder -zurufen. Er konnte die einzelnen Worte nicht verstehen, aber sie gaben ihm die Hoffnung, dass sich da drin jemand finden ließe. Jemand, der ihm erklären konnte, wo er hingeraten war und was es mit diesen Gebäuden auf sich hatte.
    Als er eintrat, wurden die Stimmen plötzlich lauter, als ob da vorher ein Schallschutz gewesen wäre. Sie redeten nicht durcheinander, wie er gemeint hatte. Sie redeten überhaupt nicht. Sie schrien. Vor Schmerzen. Jede Stimme für sich.»
    «Du tust wirklich alles, um mich aufzuheitern», sagte der König.
    «Du wolltest die Geschichte haben. Ich wusste, dass sie dir nicht gefallen würde. Soll ich aufhören?»
    «Nein», sagte der König. «Das ist jetzt auch schon scheißegal. Erzähl weiter.»
    «In dieser Halle», fuhr die Prinzessin fort, «standen lauter einzelne Zellen. Wie Duschkabinen, aber mit durchsichtigen Wänden. Runde Zellen ohne Türen, jede etwa so groß wie eine Litfasssäule. Eine neben der anderen, in langen, regelmäßigen Reihen. Die Durchgänge zwischen den Zellen waren gerade breit genug für den jungen Mann. Wenn er die Arme ausstreckte, konnte er auf beiden Seiten ihre Wände berühren. Sie waren angenehm warm.»
    «Und in den Zellen?», fragte der König.
    «Menschen», sagte die Prinzessin. «Schreiende Menschen mit schmerzverzerrten Gesichtern. Einigen von ihnen fehlten Arme oder Beine, oder die Gedärme hingen ihnen aus dem Leib. Andere schienen unverletzt, schrien aber trotzdem und krümmten sich unter Krämpfen zusammen.»
    «Ekelhaft», sagte der König.
    «Ja», sagte die Prinzessin, «das fand der junge Mann auch. Aber es wurde ihm, obwohl er sonst in solchen Dingen sehr empfindlich war, nicht übel davon. Zu seiner Überraschung merkte er sogar, dass er immer noch Hunger hatte.»
    «Ich könnte auch etwas vertragen», sagte der König. «Ich habe den ganzen Tag nichts gegessen.»
    «Die Aufregung», sagte die Prinzessin.
    «Ich bin ganz ruhig.» Der König schlug mit der Faust auf die Matratze. «Ich bin nur wütend. Weil dieser Scheißprofessor keine Ahnung von seinem Beruf hat. ‹Kann›, sagter zu mir. ‹Kann etwas Harmloses sein.› Kann aber auch nicht.»
    «Die Leute in den Zellen», sagte die Prinzessin, «hatten nichts Harmloses. Es ging ihnen schlecht. Sie schrien, ohne heiser zu werden, und auch das brachte ihnen keine Erleichterung. Ihre Zellen hatten keine Türen, so dass man nicht zu ihnen gehen und ihnen helfen konnte.
    Der junge Mann durchquerte auch diese Halle, die nächste, die übernächste und immer noch eine. In einer standen Laufgitter, auch wieder in langen Reihen, und in jedem saß ein alter Mensch auf dem Boden, ein Mann oder eine Frau. Als er zwischen ihnen hindurchging, lächelten sie ihm zu und streckten die Hände nach ihm aus. In der nächsten Halle waren dann wieder Betten, ohne Schläuche diesmal. Die Menschen, die darin lagen, schliefen friedlich. Dann kam eine Halle ...»
    «Und noch eine und noch eine», unterbrach sie der König. «Das habe ich jetzt verstanden. Passiert auch einmal etwas anderes in deiner Scheißgeschichte?»
    «Natürlich», sagte die Prinzessin.
    «Dann mach dort weiter. Gewartet habe ich heute schon genug. Um zehn war ich bestellt, und bis er mich

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