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Zehnundeine Nacht

Zehnundeine Nacht

Titel: Zehnundeine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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nicht?», sagte die Prinzessin und erzählte weiter. «Der Pfarrer rülpste, hielt sich die Hand vor den Mund und sagte: ‹Verzeihung.›
    ‹Wo sind wir hier?›, fragte der junge Mann.
    Der Pfarrer rülpste noch einmal. ‹Du musst mir verzeihen, mein Sohn›, sagte er. ‹Ich habe sehr gut gegessen.›
    ‹Wo?›
    ‹Es war eine Taufe›, sagte der Pfarrer. ‹Ein Stammhalter. Es gab Leberknödelsuppe und Schweinshaxe. Ich hatte mir gerade zum zweiten Mal genommen, als plötzlich ...›
    ‹Ich verstehe nicht›, sagte der junge Mann.
    Der Pfarrer rülpste, lachte und rülpste noch einmal. ‹So oft habe ich davon gepredigt›, sagte er. ‹Aber so habe ich es mir nicht vorgestellt, das ewige Leben.›»
    «Soll das heißen ...», sagte der König und richtete sich im Bett auf. «Soll das heißen: Sie waren im Himmel?»
    «Du kannst es so nennen, wenn du willst.»
    «Oder in der Hölle?»
    «Wenn dir das Wort besser gefällt ... Auf jeden Fall war es die Ewigkeit. Der fröhliche Pfarrer erklärte es ihm. ‹Mit dem Tod ist es nicht zu Ende›, sagte er. ‹Es geht weiter. So wie es die Kirche schon immer gelehrt hat. Wir haben es uns nur falsch vorgestellt. Nach dem Tod verändert sich nichts mehr. Wir bleiben so, wie wir vorher gewesen sind. Nicht wie wir gern sein möchten. Wir kehren nicht zurück zum Höhepunkt unserer Kraft und unseres Könnens. Wenn wir alt sind, sind wir alt, wenn wir krank sind, sind wir krank. Die letzten paar Sekunden, das sind die Entscheidenden. Bei mir war es ein Hirnschlag, vermute ich. Mitten im Essen ein Hirnschlag. Ein schöner Tod.› Er rülpste wieder. ‹Nur der Magen drückt mich jetzt natürlich die ganze Zeit. Wie ist das bei dir, mein Sohn?›
    ‹Ich habe Hunger›, sagte der junge Mann. ‹Immer ein bisschen Hunger. Da war dieses neue Lokal, und ich ging über die Straße.›
    Der Pfarrer nickte. ‹Dann wird es wohl ein Pferd gewesen sein. Von irgendetwas erschreckt und dem Kutscher durchgegangen. Du musst sehr glücklich gefallen sein, mein Sohn›, sagte er. ‹Dass es so schnell zu Ende war.›
    ‹Da war nirgends eine Kutsche. Nur Autos.›
    ‹Ach ja›, sagte der Pfarrer. ‹Diese neumodischen Maschinen. Wir sind Glückspilze, du und ich.›»
    «Wo da das Glück sein soll, das musst du mir erklären», sagte der König.
    «Gern», sagte die Prinzessin. «Es ist ganz einfach. Die wenigsten Menschen sterben, wenn es ihnen gerade gutgeht. Nur ein paar haben dieses Glück, und denen geht es dann auch im Jenseits gut. Vielleicht bleiben sie ein bisschen hungrig, so wie der junge Mann, aber so etwas wird dann auch nicht mehr schlimmer. Es hindert einen nicht daran zu tun, was immer man will. Solche Leute sind im Jenseits völlig frei und können machen, was sie wollen. Herumlaufen und sich alles ansehen.»
    «In einer Scheißwelt voller Scheißlagerhallen?»
    «Man kann nicht alles haben», sagte die Prinzessin. «Die Lagerhallen müssen sein. Die meisten Menschen kann man nach ihrem Tod nur noch aufbewahren. Wenn sie zum Beispiel in einem Krankenhaus sterben, an irgendwelche Geräte angeschlossen. Oder wenn sie ertrinken oder verbrennen. Dann ertrinken oder verbrennen sie eben im Jenseits weiter. Oder wenn einer im Krieg gerade auf einen Gegner losging ...»
    «Das reicht», sagte der König. «Halt den Mund.»
    «Die Geschichte ist noch nicht zu Ende», sagte die Prinzessin. «Der lustige Teil kommt erst.»
    «Das ist mir egal», sagte der König. «Ich will den Schluss von deiner Scheißgeschichte gar nicht hören. Da kommt man her, weil man ein bisschen Ablenkung braucht, weil man einen schweren Tag hinter sich hat, und dann ... » Er saß jetzt wieder auf der Bettkante und schlug sich mit derflachen Hand gegen den Bauch. «Weißt du, was da drin ist? Ein schwarzer Fleck ist da drin. Ein Fleck auf dem Röntgenbild, und sie wissen nicht, was es ist. Nicht einmal der Professor mit seiner Wand voller Diplome. Und du erzählst mir solche Sachen. Von Lagerhallen und von Schläuchen. Kapier es doch endlich», schrie er. «Ich bin krank. Ich sterbe vielleicht.»
    «Mach dir deswegen keine Sorgen», sagte die Prinzessin. «Ich bin ganz sicher, du bist unsterblich.»
    Im Zimmer war es unterdessen dunkel geworden, und so konnte der König nicht sehen, dass sie lächelte. Sie wusste ja, wie die Geschichte geendet hätte.
    Als er eingeschlafen war, zog sie sich an und ging hinaus. Im Treppenhaus hatte jemand die Glühbirnen aus den Fassungen gestohlen, aber sie kam trotzdem

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