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Zehnundeine Nacht

Zehnundeine Nacht

Titel: Zehnundeine Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles Lewinsky
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Der Palast
    Das Gebäude war einmal ein Hotel gewesen. Nie ganz so vornehm, wie es sich zu seinen besten Zeiten gab, aber immerhin. Die Leuchtbuchstaben an der Fassade hatte man abmontiert. Ihre Umrisse waren lesbar geblieben: PALACE.
    Man konnte hier immer noch leben, auch wenn es nicht danach aussah.
    Vor Jahren, bei einer Auseinandersetzung, an die sich manche Bewohner noch erinnerten, war die große Scheibe des Haupteingangs zu Bruch gegangen. Man hatte den Rahmen mit Brettern zugenagelt, und seither gab es nur noch die alte Lieferantenpforte hinten im Hof. Nicht leicht zu finden, aber wer hierhergehörte, kannte den Weg, und Fremde waren nicht erwünscht. Man öffnete die Metalltür, die immer nur angelehnt war, und durchquerte die Küche, wo Linien aus grünem Schimmel die Umrisse längst abtransportierter Herde an die Wand zeichneten. Von dort kam man, auf dem Weg, den früher die Kellner genommen hatten, in den Speisesaal, wo das Skelett eines Kronleuchters von der Decke hing. Die geschliffenen Glasprismen hatte jemand sorgfältig abgelöst. Käufer finden sich für alles.
    Dann ging man durchs Foyer, wo an den Säulen Fahrräder lehnten, keins davon vollständig. Ein mit leeren Flaschen gefüllter Kinderwagen wartete schon seit Jahren aufden Abtransport. Auf dem verwaisten Tresen des Portiers standen, sorgfältig in Reih und Glied ausgerichtet, mehrere Paar ausgetretener Schuhe. Ein Kugelschreiber baumelte ohne Mine an seiner Metallspirale. Meldescheine wurden hier schon lang nicht mehr ausgefüllt. Trotzdem waren die Zimmer auf den vier Etagen fast alle vermietet.
    Im Treppenhaus lag noch ein verblichener roter Läufer. Manche der Messingstangen, mit denen er einmal befestigt gewesen war, hatten sich gelöst. Man musste die Füße sorgfältig setzen, um nicht zu stolpern. Der Aufzug war defekt.
    Die Flure sahen auf allen Etagen gleich aus. Immer zwischen zwei Türen ein helleres Viereck an der Wand. Jemand hatte in diese leeren Rahmen abgehängter Bilder mit sorgfältiger Kinderschrift hineingeschrieben, was dort einmal zu sehen gewesen war: Florenz, Paris, der Strand von Rio de Janeiro.
    Manche Gäste lebten nur für ein paar Tage im Palace , andere schon seit Jahren. Man konnte den Unterschied an den Türen erkennen. Wer hier länger zu Hause war, hatte meist mehrere Schlösser angebracht.
    Die Miete zahlte man in bar. Die Männer, die das Geld einsammelten, kamen immer zu zweit.
    Die Prinzessin hatte ein Doppelzimmer, was nicht viel bedeutete. Es war nur wenig größer als die andern, lag aber zur Straße und nicht zum Hinterhof hin und war dadurch ein bisschen heller. Ihr war das egal. Tagsüber schlief sie meistens. Sie hatte ein eigenes Badezimmer, und das war wichtig in ihrem Beruf.
    Die Möbel hatte sie sich im Lauf der Jahre selber angeschafft oder schenken lassen, mit so wenig Interesse, dassnicht mehr als das Nötigste zusammengekommen war. Ein Bett natürlich, breit genug für zwei, aber doch so schmal, dass man darin auch allein sein konnte, ohne dass einem etwas fehlte. Ein Nachttisch mit Marmorplatte. Zwei Stühle, auf denen Besucher ihre Kleider ablegen konnten. Ein Schrank und darauf der große Koffer, den sie irgendwann einmal packen würde, um wegzufahren und nicht wiederzukommen.
    An den Wänden hatte sie Ansichtskarten befestigt, Landschaften mit Wasserfällen und Sonnenuntergängen. Wenn jemand die bunten Bilder von der Wand genommen und umgedreht hätte, wäre ihm aufgefallen, dass keine Grüße auf den Karten standen. Sie hatte sie sich selber mitgebracht, in der Zeit, als sie sich noch Urlaube leisten konnte. Aber niemand drehte die Postkarten um.
    Auch der Teppich stammte von einer Reise. Manchmal erinnerte sie sich daran, wie bunt er einmal gewesen war. Er vertrug das Sonnenlicht nicht, und das konnte sie verstehen.
    Es war kein schönes Zimmer. Der Teppichboden hatte Brandlöcher, und die Decke war voller Wasserflecken. Einmal hatte sie einen Eimer mit weißer Farbe gekauft, um sie neu zu streichen. Sie hatte sich nie aufraffen können, mit der Arbeit zu beginnen. Der Eimer stand seither im Bad und war im Weg. Die Farbe darin war längst eingetrocknet.
    Das Fensterbrett war, von irgendeinem Vormieter her, verbreitert, so dass man auch daran essen konnte. Über ihren Teller hinweg hätte sie auf die Straße sehen können, aber sie ließ die Vorhänge meist geschlossen. Es gab da nichts Sehenswertes.
    Sie kannte das Palace noch aus seinen besseren Tagen, dieauch nicht gut gewesen

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