Zeig mir, was Liebe ist
1.
Kapitel
"Wenn
du mich noch einmal niedlich nennst, dann werde ich dir jeden
einzelnen Knochen in deinem Fuß brechen, das schwöre ich
dir."
Ryan
Evans hob eine buschige Augenbraue und betrachtete Carrie Whelan, die
ihm in einer Nische des "Royal Diner" gegenübersaß
und äußerst grimmig aussah. Sie meinte es ernst. Sie war
nicht nur verstimmt, sie war nahe davor, Feuer zu spucken. Feuer, das
so rot leuchten würde wie das glatte, seidig glänzende
Haar, das ihr bis auf die schmalen, vor Ärger jedoch
angespannten Schultern fiel.
Es
machte immer wieder Spaß, Carrie zu ärgern. Das war schon
früher so gewesen. Mit vierzehn war sie ja auch wirklich
niedlich gewesen. Jetzt aber, mit vierundzwanzig, versetzte es sie in
Rage, wenn er – oder auch irgendein anderer Mann – sie so
bezeichnete.
Ryan
konnte trotzdem nicht widerstehen, sie noch ein wenig weiterzureizen.
Doch zuerst musste er für seine Sicherheit sorgen. Er räusperte
sich, richtete sich auf und zog ganz bewusst seine langen Beine unter
die ausgeblichene rote Plastikbank, auf der er saß. Nun war es
der wütenden Miss Whelan nicht möglich, mit den sechs
Zentimeter hohen Stilettoabsätzen ihrer Designerstiefel seinen
Spann zu zertrümmern.
"Ist
es mal wieder diese bestimmte Zeit im Monat, Kleines?" fragte er
scheinheilig.
Als
sie ihn anzischte, blinzelte er möglichst unschuldig. "Was
ist? Was habe ich denn gesagt?"
Sie
neigte den Kopf und bedachte ihn mit einem giftigen Blick. "Weißt
du was? Es ist wirklich erstaunlich, dass ein Mann, der angeblich
über so viel Erfahrung mit Frauen verfügt wie du, es
schafft, genau die falschen Dinge zu sagen, um eine Dame beeindrucken
zu wollen."
Er
konnte nicht anders, er musste grinsen. "Oh, jetzt bist du also
eine Dame, so, so."
Es
war noch nicht lange her, da hatte die kleine Carrie Whelan –
die niedliche kleine Carrie Whelan, die Schwester seines
besten Freundes Travis Whelan – jedem erklärt, dass sie
ein Cowboy werden und lieber sterben würde, als jemals in etwas
anderem als Jeans, Cowboyhut und Stiefeln erwischt zu werden.
Nun,
er konnte bezeugen, dass sie immer noch lebendig war – sehr
lebendig sogar –, obwohl sie seit ein paar Jahren die Jeans
gegen weich fließende Seidenstoffe eingetauscht hatte und statt
ihrer ausgelatschten Cowboystiefel jetzt schicke italienische
Stiefeletten trug. Auch ihre Hüte waren inzwischen andere. Dank
des Treuhandfonds, den Travis für sie eingerichtet hatte,
brauchte sie nicht zu arbeiten, aber Carrie, der Liebling der High
Society des texanischen Ortes Royal, war immer mit irgendetwas
beschäftigt. Wenn sie nicht ehrenamtlich im Krankenhaus von
Royal oder in der Bibliothek half, verbrachte sie viele Stunden in
der Woche in einem staatlichen Kinderhort. Und all das tat sie,
während sie gleichzeitig Wohltätigkeitsveranstaltungen
organisierte und gutherzigen alten und weniger alten Männern
Geld aus ihren prallen Börsen entlockte. Männern, die
Carries Projekte unterstützten und auf ein Lächeln von ihr
hofften.
Ja,
sie ist definitiv lebendig, dachte Ryan erneut, bevor er einen
kurzen, anerkennenden Blick auf ihre vollen Brüste warf, die
sich unter der elfenbeinfarbenen Seidenbluse hoben und senkten.
Aber
das sollte er gar nicht registrieren. Er sollte, was Carrie betraf,
überhaupt nicht bemerken, dass irgendetwas an ihr fraulich,
geschweige denn sexy war.
Er
zog seine Hutkrempe tiefer ins Gesicht. Das Problem war, in einer
Beziehung hatte Carrie Recht: Sie war nicht mehr niedlich. Sie war
schön … wunderschön sogar. Sie hatte faszinierende
braune Augen, einen schlanken, geschmeidigen Körper und einen
Mund, der einen Mann überlegen ließ, wie er sich wohl auf
nackter Haut anfühlen würde.
Nicht
etwa, dass er das tat! So dachte er nicht über sie nach.
Zumindest bemühte er sich höllisch, es nicht zu tun.
Stirnrunzelnd
wandte er seinen Blick wieder zu ihrem Gesicht – zu diesen
haselnussbraunen Augen – und zwang sich, seine obligatorische
Rolle als Ersatzbruder wieder einzunehmen. "Was ist dir denn für
eine Laus über die Leber gelaufen, Carrie-Bärchen?"
Der
Blick, den sie ihm zuwarf, war so ätzend, dass sie damit die
Farbe von seinem schwarzen Wagen hätte abblättern können.
"Du
bist schlimmer als mein Bruder", fuhr sie ihn an. "Keiner
von euch nimmt mich ernst."
Ryan
lehnte sich zurück und widerstand dem Drang, ihr zu gestehen, wie ernst er sie nahm. Und wie gern er sie außerdem nehmen würde. Und wie ernsthaft sie ihn
Weitere Kostenlose Bücher