Zeilen unserer Liebe (German Edition)
nämlich zu Hause geblieben.
Doch er ist anwesend, und ich werde mich jetzt gefälligst zusammennehmen!
Kinnlade oben? Check!
Mimik entspannt? Check!
Stirnfalten geglättet? Check!
Unverbindliches Lächeln aufgesetzt? Ebenfalls Check!
Auf geht’s! Du schaffst es, Kleines! Komm schon, Kopf hoch!
»Gut war er, danke. Damit er weiterhin angenehm bleibt, solltest du dir vielleicht einen anderen Tisch aussuchen«, empfehle ich ihm gelassen, halte den Blick aber tunlichst auf meine Bücher gerichtet. Daher werde ich zunächst wieder ausschließlich mit seiner Stimme konfrontiert. Leider ist das bereits verstörend genug. Mist.
»Ich freue mich auch, dich wiederzusehen«, pariert er und klingt, als hätten wir uns gestern zuletzt gesehen. »Blendend siehst du aus. Und mir geht’s sehr gut, danke der Nachfrage!«
»So witzig, wie immer und geschmacklos im Humor, wie eh und je?«, feixe ich und erfreue mich an meinen hübschen Notizheftchen. Nebenbei zische ich mir unentwegt zu, NICHT aufzusehen.
Egal was, Jil: SIEH NICHT AUF!
»So nachtragend wie gewohnt und bissig wie gehabt?«, kontert er gelassen. Aber er klingt nicht annähernd so kalt und abweisend, wie ich es zustande bringe. Als ich auch nach etlichen Minuten keine Anstalten mache, ihn mit meinem Blick zu beehren, geht er zum Angriff über. »Sieh mich an, Jillian, nur Mut ...«
Der Rest kommt spöttisch und macht mich verdammt wütend. Doch ich bin wacker am Kämpfen. Gegen den Schock, gegen die Angst - ja, auch die, leider. Doch vorrangig gegen diese mannshohe Welle von Emotionen, die mich derzeit flutet.
Wenn ich ihn ansehe, werde ich mich in Lichtgeschwindigkeit nach Damals zurückversetzen. Ich weiß es. Und genau dorthin will ich niemals wieder gehen.
Niemals!
Doch schließlich bewältige ich auch diesen Schwächeanfall. Es dauert nur etwas länger als gewöhnlich, um mir vor Augen zu führen, dass die Teenagerzeiten lange vorbei sind, dann habe ich mich gefangen. Und obwohl meine Hände zittern, die Kniekehlen schlottern und die Augen versprechen, dieses Bild erneut in mein Innerstes zu gravieren, sehe ich langsam auf.
Darf ich vorstellen? Mein persönlicher Albtraum und vor sieben Jahren absolut zu Recht verlassener Ex-Freund Steven Blake.
ie nach so vielen Jahren wiederzusehen, lebendig, zum Greifen nah, attraktiv, wie immer, mit denselben Lippen, die ich einst mehr als alles andere liebte, ist unbeschreiblich.
Der neue, ganz besondere Sex-Appeal einer Powerfrau steht ihr gut und lässt mich schwer schlucken. Sie sagt nichts, doch die Kälte in ihrem Blick sorgt auch ohne für die nötige Distanz. Die grünen Augen einer Wildkatze funkeln mich an, als wollten sie sagen: »Vorsicht bissig, nachtragend, seit Jahren männerfeindlich und arbeitsexzessiv!« Dass sie sich allerdings nervös auf die Lippe beißt und mit den Fingernägeln ein taktloses Lied auf der Tischplatte wiedergibt, verleiht dem etwas zu gelassenen Gesamtbild einen leicht grellen, unglaubwürdigen Glanz.
Diese Nervosität straft ihre aufgesetzte Fassade Lügen.
Ja, ich kenne sie. Gut! Sehr gut sogar. Nicht einmal die sieben vergangenen Jahre konnten daran etwas ändern.
Damals wie heute war sie frech, aber dennoch schüchtern, humorvoll und gleichermaßen bissig, intelligent und trotzdem naiv. Nur ihr Aussehen kannte keinen Widerspruch. Jillian war immer bedingungslos schön. Nun ... tja, wie beschreiben, ohne kitschig zu klingen? Es geht nicht ohne. Ihre einstmals mädchenhaften Formen sind nun weiblich und einladend. Die Lippen unverändert schwungvoll, allerdings in ›Pose‹ gestellt. Die gesamte Mimik ist reifer und reizvoller. Andere würden es ausgearbeitet nennen.
Doch eines versetzt mir einen heißen, verdammt schmerzhaften Stich: Ihre Augen. Deren Glanz ist irgendwann zwischen dem 15. August 2005 - dem letzten Tag, an dem ich sie sah - und heute verloren gegangen.
Wenn man sich jetzt fragt, wieso ich dieses Datum mit derartiger Gewissheit nennen kann, ist das leicht erklärt: Es brannte sich ein für alle Mal in meine Erinnerung, wurde zum Hauptkriterium für mein Gewissen und ... Okay, es war der Tag, an dem mich meine erste, große Liebe ohne ein Wort verließ.
Ich gebe ja zu, dass es nicht unverdient kam. Und ja, ich habe meine Fehler längst eingesehen, unglaublich oft durchgekaut und aus ihnen eine Lektion fürs Leben gezogen. Nämlich die, dass es fürs Fremdgehen keine Entschuldigung gibt. Man ist niemals einfach ›nur‹ dreiundzwanzig, wenn zu
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