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Zeit der Geheimnisse

Titel: Zeit der Geheimnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl Hanser Verlag
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Amerika? Ist er für ganz Großbritannien zuständig? Oder nur für Northumberland?
    Aber im Garten sind nicht nur Kaninchen. Etwas Großes, Schattenhaftes bewegt sich zwischen den Bäumen.
    Er ist es. Groß ist er – fast so groß wie mein Cousin Tom, der in der Fußballmannschaft seiner Gesamtschule spielt. Auch sein Gesicht ist auf einmal anders, länger, älter. Und Muskeln hat erjetzt und starke braune Arme. Aber seine Augen sind noch dieselben.
    »Molly«, sagt er. »So war es doch: Molly, oder?«
    Er drückt einen Kuss auf seine Hand und pustet ihn zu mir herüber. Ich fühle, wie der Kuss auf einer meiner Backen landet und etwas anderes mir auf den Kragen fällt. Eine kleine rote Blume.
    »Danke schön«, sage ich.
    Etwas hat er über seiner Schulter hängen – vielleicht ein Horn oder einen Bogen und einen Köcher für Pfeile, ich kann es nicht erkennen. Ob er es selbst gemacht hat? Es ist ganz windstill, aber die Bäume um ihn herum bewegen sich, und die Kaninchen heben ihre braunen Köpfe und starren ihn an.
    »Der Stechpalmenkönig«, sage ich. »Er ist noch immer da.« Ich bin mir sicher, dass es so ist. Dass er nicht weggegangen ist. Manchmal, wenn ich auf der Landstraße bin, sehe ich die Bäume, wie sie knarrend im Wind schwanken, und ich weiß, dass ich sie nicht anstoße und auch nicht mein Grüner Gott. Der Stechpalmenkönig hängt in der Luft wie eine unbeantwortete Frage.
    »Lass ihn doch«, sagt der Junge, der fast schon ein Mann ist. Er streckt eine Hand nach mir aus, und auf einmal ist er fort und lässt mich allein zurück, mit seiner roten Blume und der Frage, ob er wirklich da war oder nicht.

 
     
    Grandma
     
     
    Emily und ich gehen jetzt jeden Mittwoch zum Schlittschuhlaufen. Wir sind mit vielen anderen zusammen in einer Gruppe, hauptsächlich Mädchen. Wir machen zwar auch viel mit ihnen zusammen, aber wir zwei sind beste Freundinnen.
    Emily will Bäuerin werden, auf dem Hof ihrer Eltern. Oder doch Schauspielerin, oder Tänzerin oder Eisläuferin. Sie kann sich nicht entscheiden.
    »Wir könnten einen Schlittschuhladen aufmachen!«, sagt sie. »Du könntest Schlittschuhe verkaufen und Lebensmittel von meinem Bauernhof und die Zeitung von deinem Dad.«
    »Wir könnten auch unsere eigene Zeitung schreiben!«
    »Wir könnten ein Theaterstück schreiben, in dem ich dann mitspiele.«
    Ich habe noch nie jemanden getroffen, der sich genauso gerne Geschichten ausdenkt oder irgendwelche Sachen zusammenfantasiert wie ich, mal abgesehen von meiner Mum. Aber Mum ist eine Mutter, deshalb zählt das hier nicht. Wir haben uns so viel zu erzählen, dass wir immer noch reden, wenn wir schon zu Hause angekommen sind. Emilys Mum redet mit Grandma, und so lange machen wir zwei ganz genaue Pläne.
    »Und wenn wir nichts verkaufen in unserem Laden, macht das auch nichts«, sagt Emily. »Das ist ja das Gute an einem Bauernhof – man kann nicht verhungern.«
    Als Emily gegangen ist, kommt Grandma herüber und bleibt mit ihrer Kaffeetasse in der Küchentür stehen.
    »Bleibt dir denn noch Zeit für das alles?«, fragt sie, als sie sich unsere Pläne ansieht.
    »’türlich«, sage ich.
    Grandma schnaubt.
    »Wir machen das ja nicht das ganze Jahr über«, erkläre ich. »Manches vielleicht. Aber es dauert nun mal ewig, bis man so gut eislaufen kann, dass es für die Olympiade reicht.«
    »Hm.« Grandma sieht mich merkwürdig an. »Wie lange seid ihr zwei jetzt hier?«, fragt sie. »Vier Monate?«
    Ich rechne nach. »September, Oktober, November, Dezember, Januar, Februar, März – sieben!«
    »Sieben!« Grandma staunt. »Was denkt sich euer Vater eigentlich dabei?«
    Ich bin verlegen. »Woher soll ich das wissen?«
    »Hm«, macht Grandma wieder. »Ich glaube, es wird Zeit, dass ich noch mal mit eurem Vater rede. Das geht jetzt lange genug so.«
    Alle Muskeln in meinen Schultern verkrampfen sich. Ich habe mich daran gewöhnt, dass wir hier sind. Sie will uns doch jetzt nicht auch rauswerfen? Will uns denn keiner haben?
    »Wie meinst du das?«, frage ich. Und dann, als sie nicht antwortet: »Grandma? Was hast du vor?«
    »Ich?«, sagt Grandma. »Ich fahre nach London.«
    Und sie leert ihre Tasse mit einem letzten großen Schluck.

 
     
    Kew Gardens
     
     
    Es ist spät. Hannah und ich sitzen auf der Treppe und warten auf Dad.
    »Glaubst du, Grandma will uns nicht mehr?«, frage ich.
    Hannah malt ein gebrochenes Herz auf das Knie ihrer neuen Jeans.
    »Grandpa will uns«, sagt sie halb tröstend.
    Ein Auto

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