Zeit des Lavendels (German Edition)
nichts. Aber sie schaute Genoveva Rischacher an, als sähe sie sie zum ersten Mal. Dann senkte sie wieder den Kopf. Für einen flüchtigen Moment hatte ich in ihrem Gesicht so etwas wie Staunen wahrgenommen.
Ich blieb zwei Wochen in Basel. Doch dann hielt mich nichts mehr. Ich wollte heim nach Seggingen. Heim zu meinen Kindern, heim zum Stein der Seconia, den zu hüten ich einst geschworen hatte. Es war ein trauriger, ein schmerzhafter Abschied, von den Rischachers, besonders aber von Magdalena von Hausen. Ich wusste nicht, wann, und vor allem, wie ich sie wieder sehen würde. Doch ich hatte Hoffnung, dass Gott sie durch den kleinen, liebevollen Giorgio und mithilfe von Genoveva Rischacher wieder ins Leben zurückholen würde. Zernarbt und zerrissen zwar, aber ins Leben.
Das letzte Stück des Weges ging ich zu Fuß, trotz meiner Ungeduld, die Kinder möglichst schnell wieder zu sehen. Ich wollte mir meine Heimat im wahrsten Sinn des Wortes erlaufen, ganz bewusst zurückkommen. Ich wollte jeden Stein unter meinen Schuhsohlen fühlen, jeden Grashalm, jede Blume am Wegesrand wahrnehmen, den Duft dieser Landschaft einatmen. Als ich das Lachen meiner Kinder hörte, die offenbar im Garten unseres Häuschens spielten, da ging mir das Herz über vor Dankbarkeit. Hier gehörte ich hin. Hier war mein Zuhause. Ich würde es nie wieder leichtfertig aufs Spiel setzen.
»Mama! Anna komm schnell, Mama ist wieder da!« Thomas war der Erste, der mich kommen sah, als ich um die Mauerecke bog und in den Garten trat. Mein Sohn stürmte in meine Arme. Herrje, wie war er gewachsen.
»Mama, ich hab auf alles gut aufgepasst. Auf das Haus, auf Anna. Elisabeth hat mir ein bisschen geholfen. Manchmal ist auch Matthias Henlein gekommen und hat einige Sachen heil gemacht. Aber ich hab auf alles aufgepasst. Ganz allein.« Er glühte vor Aufregung.
Ich kam nicht dazu, etwas zu erwidern. Denn da rannte auch schon meine kleine Anna auf mich zu. Die warmen, braunen Augen von Konz Jehle schauten mich an. Ich nahm sie auf den Arm und drückte die Nase in ihren frisch riechenden Kleinmädchenbauch. Durch Anna war auch Konz hier. Mein Gott, ich würde ihn vermissen. Er fehlte mir so sehr. Doch ich durfte nicht klagen. Ich hatte so viel an Glück. Ich war endlich wieder daheim.
Da traten Elisabeth und Matthias Henlein aus der Türe meines Hauses. Lachend und winkend kamen sie auf mich zu. Zwei glückliche Menschen. Es war nicht allein meine Rückkehr, die sie zum Strahlen brachte. Zwischen ihnen war ein Band entstanden. Das zeigte die Art, wie sie nebeneinander hergingen. So hatte meine Reise nach Rom also doch etwas Gutes bewirkt. Hier waren zwei Menschen, die nun zusammengehörten. Zuerst waren sie etwas befangen. Doch als sie merkten, wie sehr mich ihr Glück freute, tauten sie auf: Es würde bald wieder eine Hochzeit geben in Seggingen! Elisabeth war zwar um einige Jahre älter als Matthias Henlein, doch das sah man ihr nicht an. Das Glück hatte aus der verbitterten alten Jungfer eine lebensbejahende Frau gemacht, die davon träumte, vielleicht doch noch eigene Kinder zu haben. Natürlich erklärte ich mich bereit, Trauzeugin und Patin des ersten Kindes zu sein. Ich hatte diesen beiden Menschen viel zu verdanken. Sie hatten mein Heim bewahrt und meine Kinder gut beschützt, während ich fort war.
Am Abend ging ich zum Stein der Seconia. Ich spürte die Wärme, die Kraft unter meinen Händen. Die Hüterin der heil enden Wasser und ihr singender Stein hießen mich willkommen. Willkommen daheim.
Die Monate, die folgten, waren aufregend und arbeitsreich. Es schien fast, als hätten die Menschen mich vermisst. Fürstäbtissin Agatha Hegenzer von Wasserstelz begrüßte mich auf ihre übliche, herbe Art. Ich nahm es ihr nicht übel. Ich konnte sehen, dass sie sich freute, dass ich wieder da war. Jedenfalls musste ich mir eine ganze Litanei von Wehweh chen anhören. Nach einer eingehenden Untersuchung stellte ich fest, dass ihr eigentlich nichts fehlte außer jemand, der sich um sie kümmerte. Es gab so viele, die mit ihren Sorgen zu ihr kamen. Doch sie hatte niemanden, an den sie sich wenden konnte.
Mit den Wochen und Monaten, die vergingen, wurden wir fast so etwas wie Freundinnen, auch wenn sie weiterhin eine gewisse Distanz zwischen uns hielt. Diese Frau vertraute keinem Menschen leicht. Wir kamen uns so nahe, wie es ihrem Wesen nach eben möglich war. Wir sprachen nie über unser Verhältnis, Agatha Hegenzer hielt nichts von solchen
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