ZEITLOS (German Edition)
Vertrauen schaffende Vorstellung davon, dass Tradition in diesem modernen Unternehmen kein Fremdwort war, sondern gelebte Firmenphilosophie.
Die Tür flog auf, Lars kam herein. Markus erhob sich und die beiden Männer umarmten sich herzlich. Lars entledigte sich seines weißen Kittels und seiner Schutzhaube. Strahlend musterte er seinen Freund. »Siehst gut aus. Wie kommt es, dass du einmal Zeit für einen Kurzbesuch hast?«
»Ich hatte in Hamburg bei DESY zu tun. Ging schneller als erwartet und da dachte ich, ich schau mal rein. Wenn ich dich nicht störe?«
»Ach wo! Kein Problem, um diese Zeit ist’s ruhig. Ich freu mich, dass wir mal Gelegenheit haben allein zu quatschen.« Lars setzte sich ihm gegenüber. »Was macht die Uni? Läuft alles gut?«
»Ja, gerade hat das Sommersemester begonnen. Da ist immer viel los bei uns: Sich auf neue Lehrpläne einstellen, Vorlesungs- und Übungstermine koordinieren, Einführungen für die Erstsemester geben. Langweilig wird’s nie.«
»Und, wie kommt ihr mit dem Clusterprojekt voran?«
»Zügig, wir kommen schneller voran als gedacht. Unsere neue Kollegin, Professorin Ashita Lee, ist eine wirkliche Bereicherung und absolute Koryphäe auf ihrem Gebiet.«
»Hab schon von ihr gelesen. Ist ne tolle Frau. Eurasierin?«
»Würd ich denken, möchtest du sie kennen lernen?«
Die Freunde lachten über die im Spaß gestellte Frage, dann wurde Lars Gesicht ernst. »Hast du schon über die neuesten EU-Beschlüsse aus Brüssel gelesen?«
»Welche meinst du?«
»Die, über genmanipulierte Getreide-Hybride. Da haben die Lobbyisten der Saatgutkonzerne wieder ganze Arbeit geleistet.«
»Nein, da bin ich nicht auf dem Laufenden, ist nicht mein Ressor, aber setz mich mal ins Bild!«
»Ich koche vor Wut, wenn ich das lese. Ab 01. Juli diesen Jahres kommt eine neue Verordnung, die die Rechte der Patentinhaber der ertragsreichsten Saaten noch mehr stärkt und ihnen weitere Freiheiten einräumt, mit ihren genmanipulierten Hybridsaaten noch mehr Kohle zu machen. Natürlich alles zum Wohle der vier mächtigsten Saatgutkonzerne, die ohnehin bereits mehr als die Hälfte des weltweiten Getreideanbaus kontrollieren. Die Verbraucher werden das Nachsehen haben.
Schon jetzt haben wir jährlich mindestens zwei Preisanpassunge n . Bald ist es soweit, dass sich Otto-Normalverbraucher nicht einmal mehr die täglichen Brötchen leisten kann. Wie du weißt, bemühe ich mich, hochwertige Qualität zu produzieren. Es wird jedoch immer schwieriger, die Kunden davon zu überzeugen, dass bessere Qualität eben mehr Geld kostet. Manchmal bin ich davon überzeugt, dass den Verbrauchern im wahrsten Sinne des Wortes der gute Geschmack völlig verloren geht.
In anderen Ländern, ich denke da zum Beispiel an Frankreich, wird deutlich mehr Geld fürs Essen ausgegeben und qualitätsbewusster eingekauft. Kannst du mir einmal sagen, warum wir Deutsche dafür so gar keinen Sinn zu haben scheinen? Wenn ich dagegen die vielen Kochshows im Fernsehen sehe, könnt ich mich totlachen. Kochen als Unterhaltungselement, aber selber keinen Braten mehr zustande bekommen. Das ist doch traurig. Wohin steuern wir bloß?«
Nachdenklich sagte Markus. »Offensichtlich sind wir auf dem Weg zum idealen Verbraucher: Kritiklos, angepasst, degeneriert. Die Kinder glauben schon, die Kühe seien lila, Strom komme aus der Steckdose, Geld aus dem Automaten und Kochen bedeutet, eine Tütensuppe aufzureißen. Birte kann sich darüber genauso aufregen wie du. Ich denke, wir werden von der Industrie Ziel gerichtet manipuliert.«
»Das beste weißt du ja noch gar nicht: Stell dir vor, ich habe gestern im Forum für gesunde Nahrungsmittel erfahren, dass demnächst eine Kartoffel auf den Markt kommen soll, die nicht nur vollständig im Labor konstruiert wurde, sondern auch resistent gegen alle gängigen Schädlinge sein soll. Die Industrie spielt Gott und meint, sie könnte es besser als alle Schöpfung es im Verlauf der Evolution hervorgebracht hat. Wahrscheinlich wird diese neuartige Kartoffel gleich stäbchenförmig als Pommes Frites an Sträuchern wachsen. Es ist grotesk. Ich sag dir etwas: Manchmal macht es keinen Spaß mehr Lebensmittel zu produzieren, vor allem nicht, wenn man dabei den Anspruch hat, etwas qualitativ Gutes anzubieten.«
Diese versteckte Resignation in Lars' Worten war neu für Markus. So hatte er seinen Freund noch niemals klagen hören. Kannte er ihn doch nur als optimistischen, vor Tatkraft sprühenden
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