Zerrissenes Herz (German Edition)
weiß. Sie konnten sich nicht von der Kamera fernhalten.“ Er öffnete die Beifahrertür und stieg aus. Im Schein der Straßenlaterne leuchtete sein Haar wie Bernstein.
„Vielleicht konnten sie sich einfach nicht von dir fernhalten“, meinte Daisy.
„Ja, bestimmt.“ Vermutlich errötete er, aber in diesem Licht konnte Daisy es nicht erkennen. Zach hatte noch nie viele Dates gehabt. Aber auch wenn er es niemals zugegeben hätte, wusste Daisy, dass er seit der Vorschule eine Schwäche für ihre Stiefschwester Sonnet hatte.
„Gute Nacht, Zach“, sagte sie.
„Wir sehen uns morgen. Bleib nicht mehr zu lange auf!“
Er kannte sie zu gut. Nach einer Veranstaltung wie dieser war sie meist noch zu aufgedreht und konnte nicht widerstehen, ihre Bilder hochzuladen. Sie liebte es, ein einzelnes, perfektes Bild auf ihre Website zu stellen, um der Braut einen Vorgeschmack auf das zu geben, was kommen würde.
Ihr Zuhause war ein unscheinbares, kleines Häuschen in der Oak Street. Sie ließ sich Zeit, die Tür zu öffnen und einzutreten. Das Schlimmste daran, Charlie gemeinsam mit einem Mann aufzuziehen, der nicht bei ihr wohnte, war, dass sie ihren Sohn wie verrückt vermisste, wenn er bei seinem Vater war.
Sie schloss die Tür hinter sich, und die allumfassende Stille raubte ihr den Atem. Totale Stille war ihr noch nie gut bekommen. Dann dachte Daisy zu viel nach, und wenn sie zu viel nachdachte, fing sie an, sich Sorgen zu machen. Wenn sie sich Sorgen machte, machte sie sich selbst verrückt. Und wenn sie sich verrückt machte, wurde sie zu einer schlechten Mom. Es war ewig dasselbe.
Vielleicht würde sie sich einen Hund zulegen. Ja, einen freundlichen, herumspringenden Hund, der sie mit Schwanzwedeln und fröhlichem Fiepen an der Tür begrüßte. Ein lustiger, urteilsfreier Hund, der sie von allem ablenken würde, worüber sie nichtnachdenken wollte.
„Ein Hund“, sagte sie laut. „Genial.“
Sie ging in die Büroecke, holte die Speicherkarten mit den Fotos der Hochzeit aus ihrer Tasche und sah zu, während ein Bild nach dem anderen auf ihrem Computer geöffnet wurde. Einige waren ihr höchst vertraut – Fotos, die sie gemacht hatte, weil niemand darauf verzichten wollte: der erste Tanz des Brautpaares, dessen Silhouette sich dramatisch gegen den nächtlichen Himmel abhob; oder die Eltern von Braut und Bräutigam, die miteinander anstießen. Andere Fotos waren einzigartig, eine Pose oder ein Ausdruck, den sie noch nie gesehen hatte. Sie hatte die Großmutter der Braut schielend beim Austernschlürfen erwischt und den Onkel des Bräutigams, wie er hingerissen lächelnd einem Lied lauschte. Eine Aufnahme zeigte eine der Brautjungfern, die sich duckte, um den Brautstrauß nicht zu fangen. Und dann war da der eine Schuss, das eine Bild, das sie erwartet hatte und das alles andere in den Schatten stellte.
Es war das Foto von Braut und Bräutigam, wie sie Hand in Hand über die Wiese gingen. Es erzählte eine Geschichte, erklärte, wer sie waren, und zeichnete sie als Paar aus. Zwei gemeinsam, verbunden durch ihre Hände in einer Geste, die ewigwährend wirkte.
Das perfekte Bild – sobald sie Jake daraus entfernt hatte. Daisy öffnete das Bildbearbeitungsprogramm. Der häufchenmachende Hund im Hintergrund musste verschwinden. Während sie das Foto sorgfältig bearbeitete, betrachtete sie den Lichtschein auf den Farnwedeln, das verzerrte Spiegelbild des Pärchens auf dem Wasser, die sich auf dem Gesicht der Braut spiegelnden Gefühle und die Freude, die der Bräutigam ausstrahlte. Das Foto war gut. Besser als gut. So gut, dass ich es bei einem Fotowettbewerb einreichen kann, dachte Daisy.
Als ihr dieser Gedanke durch den Kopf schoss, warf sie einen Blick auf die Mappe, die im Postkorb auf ihrem Schreibtisch lag. Da sollte sie ihre Fotos einreichen: beim Fotowettbewerb des Museum of Modern Art in New York. Die besten Beiträge wurdenjedes Jahr in einer Ausstellung in der Abteilung für aufstrebende Künstler des MoMA gezeigt. Der Wettbewerb war der am höchsten angesehene der ganzen Branche. Dort ausgewählt zu werden öffnete Türen und war karrierefördernd. Daisy wünschte sich nichts sehnlicher, als ihre Arbeiten dort einzureichen.
Doch das Postkörbchen war jämmerlich leer, die Mappe wie eine leicht geöffnete Tür, hinter der nur Leere lauerte. Alle guten Vorsätze der Welt, alle Ambitionen und hochfliegenden Träume konnten Daisy das Eine nicht geben, das sie brauchte, um das Projekt zu vollenden und
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