Kinder der Apokalypse
1
In der Nacht, in der der Dämon und die Einst-Menschen seine Familie angreifen, liegt er in seinem Bett und schläft. Sie haben das Lager seit Tagen beobachtet, die Mauern und die Routine der Wachen. Sie haben geduldig auf diese Gelegenheit gewartet, und nun ist es soweit. Ein Voraustrupp hat die Mauern schon überklettert und sich an den Wachen vorbeigeschlichen. Sie haben die Tore von innen geöffnet, um die anderen hineinzulassen, und jetzt strömen sie ins Lager. In weniger als fünf Minuten ist alles verloren.
Er ahnt es nicht, als sein Vater ihn wachrüttelt, doch er weiß, dass etwas nicht stimmt.
»Logan, steh auf! « Dringlichkeit und Angst liegen in der Stimme seines Vaters.
Logan blinzelt gegen den Lichtstrahl der Taschenlampe an, die sein Vater in der Hand hält, eine der beiden Lampen, die sie noch haben. Er sieht, dass sein Bruder sich schon anzieht, Hemd und Hose, mit schnellen, verängstigten Bewegungen. Tyler beschwert sich nicht, er sagt nichts, er sieht ihn nicht einmal an.
Sein Vater beugt sich zu ihm vor, die ausgeprägten Züge flach und kantig am Rand des Lichtstrahls. Er hat seine große Hand auf Logans Schulter gelegt und drückt sanft zu. »Es ist Zeit aufzubrechen, Logan. Zieh dich an, nimm deinen Rucksack und warte an der Falltür mit Tyler. Deine Mutter und ich holen Megan. «
Seine Schwester. Er sieht sich um, kann sie aber nicht entdecken. Draußen gellt Geschrei und peitschen Schüsse. Ein Kampf findet statt. Er weiß jetzt, was los ist, ohne es auch nur zu sehen. Er hat sein Leben lang gehört, wie darüber gesprochen wurde, über diesen Tag, an dem die Feinde eine Möglichkeit finden würden durchzubrechen, an diesem Tag, an dem die Mauern und Tore und anderen Verteidigungsmaßnahmen sie nicht mehr aufhalten würden. Es ist überall in den Vereinigten Staaten geschehen. Überall auf der Welt. Niemand ist mehr sicher. Vielleicht wird niemand je wieder sicher sein.
Schnell steht er auf und zieht sich an. Sein Bruder hat sich schon den Rucksack auf den Rücken geschnallt und wirft Logan seinen zu. Die Rucksäcke lagen in einer Ecke seines Schlafzimmers, solange er zurückdenken konnte. Jeden Monat wurden sie ausgepackt, überprüft und neu gepackt. Sein Vater ist ein vorsichtiger Mann, einer, der vorausplant und überlebt. Er war immer davon ausgegangen, dass dieser Tag einmal kommen würde, obwohl er seiner Familie versicherte, dass es nicht geschieht. Logan hatte sich nicht täuschen lassen. Sein Vater sprach es nicht aus, aber zwischen den ermutigenden Worten lagen stille Warnungen. Sie waren Logan nicht entgangen, er hatte die Andeutungen nicht überhört.
»Beeil dich, du Schnecke« , zischt Tyler ihm zu und läuft zur Tür hinaus.
Logan zieht seine Stiefel an, wirft sich den Rucksack über die Schulter und rennt hinter seinem Bruder her. Die Rufe draußen werden lauter, panischer. Es gibt auch Schreie. Er fühlt sich merkwürdig distanziert, als würde das alles Menschen widerfahren, mit denen er nichts zu tun hat. Dabei weiß er, dass es seine Freunde und Nachbarn sind. Ihm ist schwindlig, und in seinen Ohren rauscht es. Vielleicht ist er zu schnell aufgestanden, hat sich gehetzt, wie er es manchmal macht, ohne seinem Körper zu erlauben, sich an die plötzliche Veränderung zu gewöhnen.
Vielleicht liegt es aber auch nur daran, dass dies die erste von vielen Veränderungen ist, die er in seinem Leben vornehmen muss.
Er weiß, was jetzt geschehen wird. Sein Vater hat es ihnen gesagt, hat darauf geachtet, es durch das Wort ›falls‹ zu umschreiben und nicht ›wenn‹ zu verwenden … Sie werden durch die Tunnel ins offene Land fliehen. Sie werden von zu Hause weggehen und all ihren Besitz zurücklassen, weil man sie sonst gefangen nehmen und umbringen wird. Die Dämonen und die Einst-Menschen haben von Anfang an klargemacht, dass auch die, die sich in den Lagern einschließen, nicht verschont werden. Das ist die Strafe für ihren Widerstand, aber es soll auch als Warnung dienen.
Wenn ihr überleben wollt, gebt euch in unsere Hände.
Selbstverständlich glaubt niemand ernsthaft, dass das der Wahrheit entspricht. Niemand kann außerhalb der Lager überleben. Nicht als freier Mann oder freie Frau. Nicht angesichts der Seuchen und Gifte in der Luft, im Wasser und Boden. Nicht angesichts der Sklavenlager, in denen sie untergehen werden. Nicht angesichts der Freaks und Ungeheuer, die in den Städten und Siedlungen überall Amok laufen.
Nicht angesichts der Dämonen
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