Zerrissenes Herz (German Edition)
meine Wahl. Wie kommst du überhaupt hierher?“
„Es war entweder das hier, also mit meinem Bruder Connor in diesem Kaff arbeiten, oder eine Schicht im Jugendknast“, sagte er leichthin.
Jugendknast. Er sagte es so dahin, als erwartete er, dass sie das Wort genauso selbstverständlich benutzte. Das tat sie jedoch nicht. Jugendhaft war etwas, das Kindern aus dem Getto oder den Ausländervierteln passierte.
„Du bist Connors Bruder?“
„Ja.“
„Ihr seht gar nicht wie Brüder aus.“ Connor war ein konservativer Typ, weiß, ein Holzfäller aus dem wilden Norden, wohingegen Julian dunkel und … gefährlich war; das totale Gegenteil.
„Halbbrüder“, warf er lässig ein. „Verschiedene Väter. Connor will mich hier nicht haben, aber unsere Mom hat ihn dazu verdonnert, sich um mich zu kümmern.“
Connor Davis war der Bauunternehmer, der mit der Renovierung von Camp Kioga beauftragt war. Es sollte zum fünfzigsten Hochzeitstag von Daisys Großeltern in neuem Glanz erstrahlen. Es wurde erwartet, dass jeder seinen Teil dazu beitrug, aber Daisy hatte nicht erwartet, jemanden wie Julian anzutreffen. Noch bevor sie seinen Namen erfahren hatte, hatte sie etwas ganz Elementares in dem Jungen wahrgenommen. Auf verschlungene, höchst geheimnisvolle Weise war er dazu bestimmt,wichtig für sie zu sein.
Er hieß Julian Gastineaux, und genau wie bei ihr würde sein letztes Jahr an der Highschool bald anbrechen. Doch abgesehen davon hatten sie nichts gemeinsam. Sie war aus der Upper East Side von New York City, stammte aus einer privilegierten, aber unglücklichen Familie und ging auf eine schicke Privatschule. Er war aus einer miesen Gegend in Chino, Kalifornien, die im Dunstkreis der Kuhweiden lag.
Wie Motten ums Licht tanzten sie während des Essens umeinander herum. Später wurden sie damit beauftragt, abzuräumen und zu spülen. Daisy äußerte nicht wie sonst üblich ihr Missfallen über diese Aufgabe. Und während sie mit Julian zusammenarbeitete, entwickelte sich eine vertrauliche Art der Kameradschaft zwischen ihnen. Daisy war fasziniert von der sehnigen Stärke seiner Unterarme und von seinen breiten, zupackenden Händen. Als sie die Geschirrtücher aufhängten, berührten sich ihre Schultern, der kurze Körperkontakt war auf eine Weise elektrisierend, die Daisy noch nie empfunden hatte. Sie kannte genügend Jungs, aber das hier war anders. Ein seltsames Erkennen, das sie gleichzeitig verwirrend und aufregend fand.
„Am See unten gibt es eine Feuerstelle“, sagte sie und suchte in seinen ungewöhnlichen, whiskeyfarbenen Augen nach einem Zeichen dafür, dass er es auch fühlte, doch sie war sich nicht sicher. Sie kannten einander kaum. „Vielleicht können wir da hingehen und ein Feuer machen.“
„Ja, wir könnten uns an den Händen halten und ‚Kumbaya‘ singen.“
„Ein paar Abende ohne Fernsehen und Internet – und du bettelst um ‚Kumbaya‘?“
„Klar.“ Sein großspuriges Lächeln wich schnell einem sehr süßen Gesichtsausdruck. Daisy fragte sich, ob er sich dessen wohl bewusst war.
In diesem Moment sah sie ihren Dad, der den Speisesaal gerade verlassen wollte, und rief: „Können wir am Strand ein Feuer machen?“
„Du und Julian?“ Während ihr Vater rasch näher kam, huschte sein misstrauischer Blick von ihr zu dem hoch aufgeschossenen Jungen.
„Puh, ja, Dad. Julian und ich.“ Sie versuchte, sich genauso genervt wie in den letzten Tagen zu zeigen. Ihr Dad sollte nicht wissen, dass sie langsam Gefallen daran fand, den Sommer in einem rustikalen Camp in den Catskills zu verbringen, während ihre Freunde an den Stränden der Hamptons feierten.
Zu ihrer Überraschung schaltete Julian sich ein. „Ich verspreche, dass ich mich untadelig benehme, Sir.“
Es war befriedigend zu sehen, wie ihr Dad überrascht die Augenbrauen hob. Das Wort Sir aus dem Mund des Dreadlock-Trägers zu hören, war ganz eindeutig unerwartet gekommen.
„Das wird er.“ Connor Davis gesellte sich zu ihnen und warf seinem Bruder einen warnenden Blick zu, der genau verriet, welcher der Brüder das Sagen hatte.
„Ich nehme an, dann spricht nichts dagegen“, antwortete Daisys Dad. Er erkannte vermutlich, dass Connor bereit war, Julian die Hölle heißzumachen, sollte er sich danebenbenehmen. „Vielleicht komme ich später mal vorbei, um nach euch zu sehen.“
„Klar, Dad.“ Daisy zwang sich, fröhlich zu klingen. „Das wäre toll.“
Sie und Julian waren beide nicht sonderlich gut darin, ein Feuer
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