Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
eine Amputation ohne Narkose angefühlt haben.
Ich kann nicht ausblenden, was anschließend passiert ist: Bens Mutter kam unerwartet nach Hause und fand Ben in meinen Armen vor, wo er sich vor Schmerzen wand. Sein Gesicht war tränenüberströmt, das Levo abgeschnitten und sein Körper zuckte in Krämpfen. Für Fragen blieb keine Zeit. Seine Mutter hat die Sanitäter gerufen und mich fortgeschickt, damit ich nicht noch damit in Verbindung gebracht werde. Und ich bin gegangen, um mich selbst zu retten. Ben lag mit grauenhaften Schmerzen da, die schönen Augen fest zusammengepresst. Zumindest hat er nicht gesehen, wie ich ihn einfach verlassen habe.
Dann kamen die Lorder und haben ihn mitgenommen.
Ich blinzele die Tränen weg und konzentriere mich beim Laufen auf meine Füße, den Pfad, die Nacht und darauf, standhaft zu bleiben. Bens Mutter verdient es, die Wahrheit zu erfahren.
Ihr Haus ist jetzt nah, aber irgendetwas stimmt nicht. Es riecht seltsam. Zuerst nur ein bisschen, dann stärker.
Rauch?
Der Geruch wird immer intensiver, und ich werde langsamer, bis ich schließlich nur noch gehe.
Jetzt ist er sehr stark – die Luft ist dick und trüb, verdeckt das Mondlicht. Meine Augen brennen und ich kämpfe gegen den Hustenreiz.
Vorsichtig. Lautlos weitergehen.
Jetzt ist Bens Straße zu sehen, dunkle Häuser hinter Zäunen und Hecken zu beiden Seiten. Langsam steigt Rauch auf und dreht sich im Wind, unwirklich, silbrig und rot, oben vom Mond erleuchtet, unten von der roten Glut. Doch dort steht kein Haus mehr. Als ich näher komme, erkenne ich das ganze Ausmaß der Zerstörung. Vor mir befinden sich nur noch die Überreste eines Hauses – eine Ruine.
Das kann unmöglich Bens Haus sein! Ich suche die Häuser links und rechts ab. Keines sieht aus wie das seiner Familie, mit der Werkstatt nebenan, in der seine Mutter die Metallfiguren gebaut hat. Es muss sein Haus sein.
Der Wind dreht sich und ich ziehe mir den Pullover als Atemschutz übers Gesicht. Mir wird schlecht und nun kann ich das Husten nicht länger unterdrücken. Es sind keine Feuerwehrleute da, niemand ist zu sehen. Vom Haus sind nur noch Trümmer und glühende Asche übrig. Rauch. Wie …?
Im Hintergrund bleiben. Geh nach Hause. Sicher beobachtet jemand das hier.
Ist es wirklich Bens Haus? Kann das sein? Was ist nur geschehen?
Verschwinde. Hier gibt es nichts mehr zu tun.
Gar nichts. Wenn sich jemand im Haus aufgehalten hat, dann …
Ich starre auf die Ruine. Die Nachbarhäuser sind unversehrt, aber Bens ist vollkommen zerstört. Darin konnte niemand überleben. Niemand.
Seinen Vater habe ich nie kennengelernt, aber seine Mutter war so voller Leben, so erfüllt von ihrer Kunst. Und dann von dem Schmerz um Ben.
Jetzt nicht mehr.
Verschwinde von hier.
Ich bekomme es mit der Angst zu tun, ich muss hier schleunigst weg. Meine Füße treten den Rückmarsch an und im Schutz der Bäume laufe ich den Kanalweg entlang. Bestimmt wird hier heute Nacht alles überwacht.
Ich bleibe stehen. Es geht ein wenig bergauf, von hier habe ich einen besseren Blick.
Versteck dich!
Wenn ich von oben alles sehen kann, kann man mich auch von unten erspähen. Schnell tauche ich im Schatten der Bäume ab.
Jeder meiner Instinkte schreit mir zu, dass ich wegrennen soll, mich verstecken, aber ich kann nicht nicht wegsehen! Kann die Augen nicht von dem rauchenden Gemäuer abwenden. War jemand im Haus? Sind Bens Eltern etwa darin verbrannt? Mich schaudert. Ich bin fassungslos …
Jemand packt mich von hinten an den Schultern.
Mit Wucht ramme ich den Ellbogen in die Person hinter mir, die daraufhin japsend gegen einen Baum prallt. Ich fahre herum, trete mit dem Fuß zu, die Faust erhoben, um den Schädel meines Gegners gegen den Baum zu schmettern und …
Überrascht lasse ich die Hände sinken.
Vor mir steht ein Mädchen zusammengekrümmt da und hält sich keuchend den Bauch. Lange schwarze Haare fallen in ihr Gesicht. Auch wenn in diesem Licht kaum etwas zu erkennen ist, kommt mir das Haar irgendwie bekannt vor.
»Tori?«
Sie blickt auf. Vertraute, makellose Züge, schöne Augen. Doch es sind nicht dieselben. Sie sind leer und voller Tränen.
»Tori?«, frage ich wieder. Mit einem schwachen Nicken sinkt sie zu Boden. »Was machst du denn hier? Wie …?«
Sie schüttelt den Kopf, weil sie nicht sprechen kann. Wo kommt Tori nur auf einmal her? Weshalb ist sie überhaupt irgendwo ? Tori war eine Freundin von Ben und geslated, genau wie wir. Ich habe sie kaum
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