Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
scharrendes Geräusch. Wie eine Schaufel im Sand.
Um mich ist nur Dunkelheit.
Stille.
Schwer und undurchdringlich.
Schwarze Jacke, Jeans, warme Handschuhe. Eine dunkle Mütze, damit das blonde Haar im Mondlicht nicht auffällt und meine Ohren warm bleiben, denn – es ist kalt heute Nacht.
Wie ein Schatten schleiche ich die Treppe hinab, öffne dann leise und vorsichtig die Seitentür und trete hinaus in die Nacht. Ich staune, wie geräuschlos ich mich bewegen kann. So überraschend ist es aber gar nicht, denn diese verborgenen Talente habe ich dem Training bei Free UK zu verdanken. Bislang waren sie nur verschüttet und lagen brach, bis ich sie wieder brauchte. Wer weiß, was ich sonst noch alles kann?
Ein Auto fährt vorbei und ich verschmelze mit dem Schatten. Wo wollen die bloß um drei Uhr morgens hin?
Ich will Bens Mutter besuchen.
Auf alten Wanderkarten, die ich zu Hause im Bücherregal gefunden habe, sieht man, dass die Kanäle hinter Bens Haus zu dem Fußweg oberhalb unseres Dorfs führen und auf dem Weg nur ein paar Feldwege kreuzen. Es sind gerade mal zehn Kilometer. Vielleicht zwölf. Wenn ich jogge, sollte ich das in einer Stunde schaffen, und ich muss unbedingt mal wieder laufen, um meinen Traum abzuschütteln. Ein Traum, der mich in verschiedenen Versionen seit dem Slating verfolgt.
Ich fange gemächlich an und halte mich im Dorf im Dunkeln, für den Fall, dass irgendwelche schlaflosen Bewohner an den Fenstern stehen. Es gibt einen brenzligen Moment, als ein verschlafener Hund ein paar Mal halbherzig bellt. Doch keine Tür geht auf und es bleibt weiterhin ruhig. Sobald ich den Fußweg am Ende des Dorfes erreicht habe, laufe ich los. Langsamer als normalerweise und ich passe dabei auf, im fahlen Mondlicht nicht über Wurzeln zu stolpern, aber allmählich gewöhnen sich meine Augen an das Licht.
Diesen Pfad sind Ben und ich gemeinsam hochgegangen.
Am Aussichtspunkt haben wir über den nebelverhangenen, nicht vorhandenen Ausblick gelacht, und er wollte mich gerade küssen, als Wayne uns gestört hat.
Bevor Bens Level fiel und er ohne die illegalen Happy Pills sicher ohnmächtig geworden wäre. Eigentlich waren die Pillen schuld an allem. Und das nur wegen Waynes Angriff und der Tatsache, dass Ben sich nicht dagegen wehren konnte. Was wäre wohl passiert, wenn Amy und Jazz uns nicht geholfen hätten? Wären meine Erinnerungen schon damals zurückgekehrt? Mir wird ganz anders.
Doch nun brauche ich vor nichts mehr Angst zu haben.
Nicht, seit mir wieder eingefallen ist, was Nico mir beigebracht hat. Wayne hat es am eigenen Leib erfahren.
Ziemlich bald gabelt sich der Pfad. Den linken Weg kenne ich – er führt zurück zum anderen Ende des Dorfes. Der rechte ist neu und wird mich heute zum Ziel bringen.
Das Laufen, die Dunkelheit, die Nacht – einfach wunderbar! Viel zu lange war ich eingeschlossen. Die kalte Luft, der Rhythmus meiner Beine und der weiße Atemhauch erfüllen meinen ganzen Körper, bis es nur noch das Laufen gibt.
Aber als ich mich meinem Ziel nähere, kommen mir Bedenken. Was soll ich machen, wenn ich dort bin? Was wird Bens Mutter denken, wenn ich um vier Uhr früh bei ihr an die Hintertür klopfe? Was soll ich zu ihr sagen?
Es gibt nur einen Weg, damit umzugehen, ich muss die Wahrheit sagen. Ich muss ihr erzählen, was wirklich passiert ist.
Und sie soll wissen, dass ich Ben liebe. Ich würde ihm niemals wehtun, nicht um alles in der Welt.
Aber das hast du.
Nein! So war es nicht. Er hätte sich das Levo sowieso abgeschnitten. Ich habe noch versucht, ihn aufzuhalten.
Dann hättest du dir mehr Mühe geben müssen.
Da ist die knallharte Wahrheit: Ich hätte mir mehr Mühe geben müssen. Schließlich wurden wir immer gewarnt, dass jeder Schaden am Levo tödlich endet. Dennoch war Ben so wild entschlossen, sich von seinem Levo zu befreien, dass er nicht auf mich gehört hat! Und obwohl ich ihn schrecklich vermisse, ist die Erkenntnis, dass es mir nicht gelungen ist, ihn aufzuhalten, viel schlimmer.
Damals hielt ich es für das Beste, ihm zu helfen, denn so standen seine Überlebenschancen besser. Ohne mich wäre er garantiert gescheitert.
Er ist trotzdem gescheitert, oder nicht?
Ist er das? Mit der Flex hatte ich das Levo ziemlich schnell durch. Danach hat er noch gelebt. Aber der Schmerz . Die leichteste Berührung an einem funktionierenden Levo tut so weh, als würde jemand einem mit einem Vorschlaghammer auf den Kopf hauen; der Schnitt durch das Levo muss sich wie
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