Zersplittert: Dystopie-Trilogie Band 2 (German Edition)
wurdest.«
»Manchmal«, gebe ich zu.
»Würdest du sie ausfindig machen wollen, wenn du das könntest?«
Weil mir dieses Gesprächsthema unangenehm ist, beschäftige ich mich mit Kauen. Mein altes Leben zurückzuverfolgen, wäre vollkommen illegal. Es könnte bereits gefährlich sein, wenn jemand dieses Gespräch belauschen würde. Und wer weiß, wer gerade zuhört? Den Lordern würde ich es durchaus zutrauen, dass sie jede Bank in der Schule verwanzen. Sie und ihre Spione, wie Mrs Ali, sind überall.
»Und du?«, frage ich, als von meinem Kuchen nur noch Krümel übrig sind.
»Was?«
»Du hast gesagt, dass dein Vater abgehauen ist. Hast du noch Kontakt zu ihm?«
Der ernste Blick ist wieder zurück und das Schweigen dauert an.
»Kyla, hör zu.« Seine Stimme wird leiser. »Vorhin habe ich doch gesagt, dass überall Menschen verschwinden?«
Ich nicke.
»Mein Vater ist nicht abgehauen. Die Lorder haben ihn geholt. Sie sind mitten in der Nacht in unser Haus eingebrochen und haben ihn verschleppt. Seitdem haben wir nichts mehr von ihm gehört.«
»Oh, Cam.« Entsetzt starre ich ihn an. Nach außen hin wirkt er so sorglos, so unkompliziert. Aber auch er trauert um einen Menschen, der einfach so verschwunden ist. Wie Ben.
»Ja. Er war in ein paar Dinge verwickelt, die ihnen nicht gepasst haben. Hat was damit zu tun, Vermisste zu finden. Illegale Webseiten und so.«
MIA?
Ich sehe mich nervös um. Niemand ist in Hörweite, dennoch ist mir das Gespräch nicht ganz geheuer. »Und deine Mutter?«, frage ich dann doch.
»Uns hätten sie bestimmt auch noch geholt, wenn ihre Forschungsarbeit nicht sehr wichtig wäre. Viel weiß ich nicht darüber, aber die Lorder wollen, dass sie weitermacht. Mich haben sie zu meiner Tante und meinem Onkel gebracht, um sie bei der Stange zu halten.«
»Wie schrecklich. Es tut mir so leid. Ich hätte nicht fragen sollen.«
»Ist doch nicht deine Schuld. Du warst nicht nah genug dran, um deine geheimen Verschwindetechniken einzusetzen! Es sei denn, deine Kräfte wirken auch noch ein paar hundert Kilometer nördlich von hier.«
Und schon wieder macht Cam Witze. Aber er spielt mir nicht länger etwas vor. In ihm geht mehr vor, als ich mir je hätte vorstellen können.
»Hör zu«, sagt er. »Hast du Lust, später eine Runde mit dem Auto zu drehen? Ich würde wirklich gern reden. Aber hier ist das nicht möglich.«
Ich bin neugierig, aber trotzdem vorsichtig. Doch ich muss keine Entscheidung treffen, noch nicht. »Heute kann ich nicht. Muss heute länger bleiben.«
»Warum das?«
»Hab noch was zu erledigen.«
»Was?«
»Irgendwelche Sachen.«
»Was für Sachen?«
»Hey, Mr Neugierde, ich hab einfach noch zu tun, okay?«
Er schweigt. »Ich kann warten. Soll ich dich heimfahren?«
»Ich weiß nicht, wie lang es dauert.«
»Macht nichts. Ich hab sonst eh nichts vor.«
Ich versuche, es ihm auszureden. Sonst reite ich ihn womöglich noch rein und bringe ihn mit meinen magischen Fähigkeiten auch noch zum Verschwinden. Das will ich auf keinen Fall, seine Mutter hat schon genügend Probleme. Aber er lässt sich nicht davon abbringen, beim Wagen auf mich zu warten. Also sollte ich nachher lieber auftauchen, wenn ich nicht will, dass er bis morgen früh dort steht.
Der Flur ist leer. Ich klopfe einmal an; Nicos Tür geht auf. Ich gehe rein und er verschließt sie.
»Wie geht’s Tori?«, frage ich.
»Sie putzt ganz gut«, sagt er. »Sie braucht nur ein paar warme Mahlzeiten und muss ihren verstauchten Knöchel schonen, das genügt schon. Körperlich zumindest.«
»Sie hat keinen Ärger gemacht?«
»Nein, bisher nicht. Falls doch, wirst du’s sicher erfahren. Bald kann ich sie anderswo unterbringen, ich muss nur noch ein paar Details klären. Obwohl sie behauptet, dass sie kochen kann. Vielleicht behalte ich sie auch bei mir.«
Sie putzt ganz gut, sie kann kochen. Vor meinen Augen blitzt plötzlich eine Szene auf, wie Nico und Tori heute Abend bei einem gemütlichen Essen sitzen, im Schein der Kerzen, die ich auf dem Tisch gesehen habe, und mit einer offenen Flasche Wein.
Nico grinst, als würde er haargenau wissen, was ich denke, ein Lächeln, das bedeutet: selbst schuld.
Ich werde rot. Als er auf den Stuhl neben seinem Tisch zeigt, setze ich mich.
»Mir ist letzte Nacht etwas aufgefallen«, sagt er und nimmt auf dem anderen Stuhl Platz, den er sehr nah vor meinen zieht. Mein Blick ist fest auf seinen gerichtet. Auf die langen Wimpern, die zu dunkel scheinen für seine
Weitere Kostenlose Bücher