Zitronentagetes
länger ohne sie aus. Er hatte nicht verhindern können, dass er in den letzten Wochen zu einem echten Kotzbrocken mutiert war. Marc hatte es so schlimm getrieben, dass Bertha kurzerhand ihre Sachen gepackt und auf die O’Brian Ranch gezogen war. Einen Tag später holte die Speditionsfirma ihre Möbel ab. Meine Güte, hin und wieder einen kleinen Streit, so schlimm war das doch nicht. Warum mussten Frauen so empfindlich sein? Schließlich meinte er es nicht böse, hatte er bei sich gedacht und sich mutterseelenallein gefühlt in dem schönen Häuschen des alten Doc Svenson. Schuldbewusst war er in Berthas leere Wohnung geschlurft. Offenbar gab es für ihn kein beständiges Glück. Vielleicht half es ein wenig, sich die Hucke vollzusaufen. Du verlierst noch dein letztes bisschen Verstand , hatte er sich ermahnt und war lieber früh schlafen gegangen.
Er überquerte den Bahnhofsvorplatz und entdeckte den Taxistand. »Hallo«, grüßte er den Fahrer. Hallo war international, das verstand jeder.
»Wo soll’s denn hinjehen, junger Mann?«
Selbst ohne den Berliner Dialekt begriff Marc von Tuten und Blasen nichts. Er kramte den Notizzettel mit der Adresse aus der Hosentasche seiner Jeans.
»Na, ded is ja nich weit.« Der Taxifahrer öffnete bereits die Kofferraumklappe.
Keine zehn Minuten später hielt der Wagen vor einem Wohnblock gegenüber einer Schule. Marc bezahlte mit den Euronoten, die er auf dem Flughafen Schönefeld eingewechselt hatte. Er verglich die Hausnummern, schritt zum richtigen Aufgang und studierte das Klingelschild. Fünfter Stock, ohne Fahrstuhl, an sich kein Problem. Aber, heiliger Strohsack, er war seit fast vierundzwanzig Stunden unterwegs und sein rechtes Bein machte Zicken. Was tat man nicht alles für die Herzallerliebste? Gerade wollte er auf den Klingelknopf drücken, als die Haustür geöffnet wurde. Ein junges Pärchen trat heraus und er nutzte die Gelegenheit, um hineinzuschlüpfen. Niemand hielt ihn zurück oder stellte ihm Fragen. Er nickte einfach unverfänglich, das konnte schließlich alles bedeuten, und schon war er im Rapunzelturm. Na ja, zumindest war das Erklimmen der vielen Treppen ähnlich schwierig für ihn. Dieser Gedanke würde Flo gefallen. Herrje, pochte sein Bein. Nichts da mit stattlichem, unerschrockenem Märchenprinzen. Der Schmerz überspülte die gespannte Erwartung.
Marc läutete. Eine Frau mit einem interessanten Rot in den Haaren öffnete. Sie sah jünger aus, als er gedacht hätte. Er nannte seinen Namen und setzte ein vorsichtiges Lächeln auf. Sie sah ihn abwartend an, bis er begriff, dass er englisch gesprochen hatte. »Floriane …«
Die Frau hob interessiert die Augenbrauen. »Moment.«
Er nickte, das Wort hatte er immerhin verstanden.
*
Flo saß auf dem Balkon und sah von ihrer Quiltarbeit auf.
»Alle Achtung! Ich weiß ja nicht, wie du das machst, aber es steht wieder ein Ami vor unserer Haustür. Mit deinem Exmann hat er nicht die geringste Ähnlichkeit.«
»Bestimmt der Typ von der Ausländerbehörde, wegen Kevin.«
»Soll es so sexy Beamte geben?« Ihre Mutter sah sie an. »Groß, blond, zerzaustes Haar, Dreitagebart, seine langen Beine stecken in knackigen Jeans.«
Die Beschreibung machte Flo neugierig. Fix war sie an der Haustür – und riss den Mund auf.
»Hey Birdie.«
Besser, sie klappte den Kiefer wieder zu. Man sah mit solch einem Gesicht ziemlich bescheuert aus. »Was in Gottes Namen machst du in Rathenow?«
»Ich hab’s nicht mehr ausgehalten ohne dich.« Statt das sie ihm jubelnd um den Hals fiel, trat sie einen Schritt zurück und verschränkte die Arme vor der Brust.
»Was denn, ist das eine angemessene Begrüßung ?« Er klang ehrlich verletzt.
Sie sah ihm kurz in die silbergrauen Augen. Etwas in deren Tiefe irritierte sie. Besser, sie bat ihn herein, auch wenn sie momentan nicht wusste, wohin das Ganze führen sollte. Ihr dummes Herz schlug einen Salto. »Stell deinen Koffer hier ab. Meine Mutti hast du ja bereits kennengelernt.«
Er nickte und gab der Älteren die Hand. Ihre Mutter lächelte ihn freundlich an und wies auf das Wohnzimmer und dann auf das Sofa. Als er sich setzte, verzog er das Gesicht und stieß zischend den Atem aus.
»Dein Bein?«, fragte Flo.
»Ich habe unterschätzt, wie weit die Reise ist.«
»Du bist vollkommen verrückt.«
»Danke. Ich werfe mir eine meiner Superdrogen ein, dann wird es rasch besser.«
Marc war dabei, wieder aufzustehen, als Flo ihm suggerierte, er solle sitzen
Weitere Kostenlose Bücher