Zitronentagetes
konnte sie wunderbar auch von Deutschland aus erledigen, dank der modernen Technik war das kein Problem.
Floriane besann sich auf ihre alte Angewohnheit und versuchte, sich in einen ihrer geliebten Tagträume zu flüchten. Das hatte früher schließlich auch immer funktioniert, sehr gut sogar. Man schlüpfte einfach in die weibliche Hauptrolle einer berühmten Hollywoodromanze und spann ein bisschen vor sich hin. Audrey Hepburns Part in »Ein Herz und eine Krone« kam ihr gerade recht. Obwohl das bei ihrer ausufernden Fantasie normalerweise nicht nötig war, schloss Flo die Augen und holte tief Luft.
Gemeinsam stand sie mit Gregory Peck vor dem Mund der Wahrheit in Rom und wagte nicht, die Hand hineinzustecken. Sie hatte Gregory etwas vorgeflunkert, nur ein bisschen. Über ihre Herkunft, er wusste nicht, dass sie eigentlich aus Deutschland, genauer gesagt aus Rathenow im Havelland stammte. Mist, es gelang ihr nur zum Teil, sich das Gesicht von Gregory Peck vorzustellen. Besonders den traurigen Blick, als er begriff, dass die Prinzessin für ihn auf immer verloren war. Komm schon, Gregory, mach es mir doch nicht so schwer. Das konnte sie vergessen. Mr. Peck sandte ihr keine Signale, der Blödmann. Stattdessen verwandelten sich seine Züge in die eines anderen Mannes. Schon sah sie silbergraue statt braune Augen auf sich gerichtet und diesen Mund, der so herrliche Dinge mit ihr angestellt hatte. Die Erinnerung versetzte ihr einen Stich. Bedachte man, dass alles vollkommen unverfänglich angefangen hatte, saß sie in einem ziemlichen Dilemma. Sie erinnerte sich, wie sie beide gemeinsam in einem Gartencenter gewesen waren. Er hatte einen Blumentopf in die Hand genommen und auf den Aufkleber gedeutet: Pflanzen nicht zum Verzehr geeignet. »Hm, und ich wollte mich gerade durch die Petunien, Verbenen, Begonien oder was auch immer futtern«, hatte er ernst gebrummt.
Lachend hatte sie ihn in Richtung der Blumenerdesäcke gezogen.
Ein gefühltes ganzes Leben lag zwischen dieser Begegnung und dem heutigen Tag. Sie konnte ihm schlecht Vorwürfe machen, weil er sie ausdrücklich gewarnt hatte, sich nicht mit ihm einzulassen. Immerhin.
In ihrer grenzenlosen Naivität hatte sie ihm nicht geglaubt. Eine ganz und gar schlechte Angewohnheit. Auch die damaligen Ratschläge ihrer Familie hatte sie in den Wind geschlagen und prompt ihre Quittung präsentiert bekommen. Wer nicht hören will, muss fühlen … – das Lieblingssprichwort ihres Vaters.
Was ihr Leben in den USA anging, hatten ihre Eltern in Deutschland lange im Dunkeln getappt. Wieder zurück, hatte sie ihnen endlich reinen Wein eingeschenkt und die Wahrheit offen ausgesprochen, jedenfalls den größten Teil davon, doch bis zum jetzigen Zeitpunkt hatten ihre Eltern keinen Schimmer von ihm – ihrem Mr. Right. Normalerweise überspielte Floriane im Umgang mit Männern ihre Nervosität stets gekonnt mit Quasselei. Bei ihm jedoch war alles anders. Eigentlich hätte sie das sofort alarmieren sollen. Doch leider hatte sie nicht aufgepasst, wieder einmal. Und nun war es zu spät. Es fühlte sich an, als wäre etwas in ihr kaputt gegangen.
*
Was tat er hier eigentlich? Es war ihm völlig egal, ob es richtig oder falsch war. Marc wusste nur, dass er es tun musste. Von dem einmal gefassten Entschluss hatte er sich nicht mehr abbringen lassen.
Bei der Zollkontrolle am Flughafen ertönte ein ohrenbetäubendes Piepen. Das musste ja so kommen. Eine Beamtin winkte ihm, ihr zu folgen. Sie begriff, dass er nicht ein Sterbenswort verstand, und wechselte mühelos ins Englische. Ihre Aussprache erinnerte ihn sofort an den Grund seiner überstürzten Reise: Floriane. Marc war erschöpft und hatte nach den vielen Flugstunden eine Dusche bitter nötig. Im Stillen betete er darum, sich jetzt nicht mit hinuntergezogenen Hosen präsentieren zu müssen. Er kramte in seinen Dokumenten nach dem Prothesenpass und legte ihn der Beamtin in die Hand. Sie lächelte verstehend und ließ ihn passieren.
Mit dem Zubringerzug fuhr er kaum fünfundvierzig Minuten von Berlin nach Rathenow. Die Landschaft zog an ihm vorbei. Sie war sehr grün und vor allem flach. Hier gab es offenbar jede Menge Platz. Natur pur, sozusagen. Nahm er sich erst ein Hotelzimmer oder machte er sich gleich auf die Suche nach Flo? Marc rieb sich gedankenverloren das Kinn. Er spürte seinen Bartwuchs unter den Fingern. Obwohl er hundemüde war, wollte er unbedingt zu Flo. Plötzlich war ihm, als hielte er es keine Minute
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