Zons 03 - Kalter Zwilling
Oliver Bergmann fühlte sich wie jemand, der aus dem Paradies vertrieben worden war. Lustlos starrte er auf die renovierten Gebäude, die weniger schlimm aussahen, als er es sich ausgemalt hatte. Statt grauer Neubaublocks, die er so weit im Osten und direkt an der polnischen Grenze erwartet hatte, bot Frankfurt an der Oder eine gepflegte Altstadt, die idyllisch am Fluss lag. Er vermisste Emily so sehr, dass ihm die Worte fehlten, um seinen Kummer auszudrücken. Wenigstens hatten sie wieder Kontakt zueinander, wenn auch nur per Telefon. Oliver sehnte das kommende Wochenende herbei, aber die Stunden zogen sich zäh wie vertrockneter Honig, der den Weg aus dem Glas nicht mehr schaffte und am Rand hängenblieb.
Sein neuer Job - obwohl er gerade erst zwei Tage dabei war - verhieß ebenfalls keine Highlights. Die meisten Fälle der Kriminalkommission drehten sich um Autoschieberbanden, die versuchten Autos mit gefälschten Dokumenten nach Polen zu schleusen. Die Anklagen lauteten dabei fast ausschließlich auf gewerbsmäßigen Bandendiebstahl und Urkundenfälschung. Das Spannendste, was seine Kollegen in Frankfurt in den letzten Monaten erlebt hatten, war eine Verfolgungsjagd durch die Stadt, die schließlich in der Oder endete. Lange würde Oliver es hier nicht aushalten!
Sein Handy klingelte und er erkannte die Nummer seines Partners Klaus im Display. Gelangweilt hob er ab.
»Es gibt eine neue Leiche in Zons.« Klaus‘ Stimme überschlug sich fast. »Stell Dir vor, die Leiche war genauso zugerichtet, wie die von Sophia. Ich kann es nicht fassen, aber wir haben schon wieder einen Serienkiller in Zons. Und diesmal ist es einer von der übelsten Sorte!«
Olivers Adrenalinspiegel hatte sich schlagartig verdoppelt. »Kannst du an den Bericht herankommen, Klaus?« Aufgeregt fuhr er sich mit den Fingern durchs Haar. »Hans Steuermark hatte mir nicht richtig zugehört. Sicher hat er Petra Ludwig nichts von der Überprüfung der amerikanischen und deutschen Mitarbeiter von US-Unternehmen in Neuss erzählt. Ich hatte drei Treffer.«
Olivers Magen zuckte nervös. Wenn er Steuermark beweisen konnte, dass er ohne ihn und Klaus nicht auskam, würde er sie vielleicht zurückholen und das Untersuchungsverfahren beschleunigen. Die Tatsache, dass ein neuer Mord geschehen war, während er und Klaus am anderen Ende der Republik festsaßen, zeigte doch schließlich, dass die Entfernung der Visitenkarte vom Tatort letztendlich irrelevant war. Auch Klaus, der mit den gefundenen Drogen nichts zu tun hatte, konnte wegen seiner Affäre mit der Prostituierten Sophia Koslow dienstlich nicht weiter belangt werden. Dafür müssten sich konkrete Beweise für den Besitz von Kokain finden und Oliver bezweifelte dies. Die Hoffnung, die in diesem Moment in ihm aufkeimte, war so berauschend, dass er seinen Kugelschreiber mit Schwung auf die Schreibtischplatte fallen ließ.
»Ich habe Kopien von meinen bisherigen Ermittlungen in unserem Zimmer liegen. In zehn Minuten bin ich bei dir und wir gehen die Unterlagen durch. Klaus, bitte versuche, bis dahin den neuen Bericht aufs Fax zu bekommen!«
Mit diesen Worten stürmte Oliver Bergmann aus dem Büro des Frankfurter Kriminalkommissariats und ließ die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fallen.
...
»Sie wollten schon vor drei Stunden mit der Analyse fertig sein. Hören Sie, ich brauche diese Ergebnisse. Ich gebe Ihnen noch eine halbe Stunde.« Petra Ludwig schnaufte wütend und knallte den Hörer auf. Auf die Forensik war auch kein Verlass mehr. Dabei musste sie unbedingt wissen, ob es sich um ein und denselben Täter handelte.
Die Mordwaffe war ein Skalpell. Vermutlich ein 26 Zentimeter langes Langenbeck Amputationsmesser, welches seinen Namen dem deutschen Chirurgen Bernhard von Langenbeck verdankte. Da es sich hierbei um ein gängiges Instrument handelte, das sogar bei eBay ersteigert werden konnte, musste Petra wissen, ob die Einstichtiefe und die Winkel der Einschnitte an beiden Leichen identisch waren. Jeder Mörder hinterließ seine persönliche Handschrift auf seinem Opfer. Die Art und Weise, wie er mit einem Messer oder Skalpell zustach, verriet seine Identität.
Petra stöhnte verzweifelt. Keiner ihrer Kollegen schien die Dringlichkeit dieser Analyse zu verstehen. Die rechtsmedizinische Abteilung hatte offenbar andere Prioritäten und ihr Unterstützungsteam kam ebenfalls nicht voran. Es sollte herausfinden, ob zwischen der Prostituierten Sophia Koslow und dem
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