Zu cool für dich
und Salzstreuer, Serviettenhalter und so weiter –, auf die Seite geschoben, um ein Hemd zu bügeln.
»Hallo«, sagte er und strich sich das Haar aus derStirn. Das Bügeleisen zischte, als er es hochhob, sorgfäl tig auf dem Hemdkragen absetzte und mit aller Kraft runterdrückte.
»Wie lang ist sie schon dabei?« Ich zog den Mülleimer unter der Spüle hervor und schmiss den Manuskriptseitenball hinein.
Er ließ etwas Dampf aus dem Bügeleisen zischen und zuckte die Achseln. »Ein paar Stunden oder so.«
Ich warf einen Blick an ihm vorbei ins Arbeitszimmer, wo meine Mutter, eine Kerze neben sich, vornüber gebeugt an ihrer Schreibmaschine saß und drauflostippte. Sie sah beim Schreiben immer ziemlich seltsam aus, denn sie hämmerte mit ihrem gesamten Körpergewicht auf die Tasten ein, als könnte sie die Wörter gar nicht schnell genug aus sich herausholen. So würde es für Stunden weitergehen, bis sie am Ende aus der Versenkung auftauchte, mit schmerzendem Rücken, verkrampften Fingern und gut fünfzig beschriebenen Seiten. Was genügen würde, um ihre New Yorker Verlegerin zumindest vorläufig glücklich zu machen.
Ich setzte mich an den Küchentisch und blätterte durch den Poststapel, der an der Obstschale lehnte. Währenddessen drehte Chris das Hemd sorgfältig und fuhr mit dem Bügeleisen behäbig um die eine Ärmelmanschette herum. Er war ein unendlich langsamer Bügler – so langsam, dass ich ihm das Bügeleisen schon öfter aus der Hand gerissen und es selber gemacht hatte, weil ich es schlicht nicht mehr ertragen konnte, wie lange er allein für den Kragen brauchte. Das Einzige, was ich noch schlechter mit ansehen kann, als wenn jemand etwas falsch macht, ist, wenn jemand etwas langsam macht.
»Hast du heute Abend was Besonderes vor?«, fragte ich. Er beugte sich gerade tief über das Hemd, konzentrierte sich auf die Brusttasche.
»Jennifer Anne hat ein paar Leute zum Abendessen eingeladen«, antwortete er. »Nicht formell, aber auch keine Freizeitkleidung.«
»Nicht formell, aber auch keine Freizeitkleidung?«
»Das heißt«, erklärte er langsam, völlig in seine Bügelei vertieft, »keine Jeans, aber auch nicht im Anzug. Schlipse sind erlaubt, allerdings kein Muss. Irgendetwas dazwischen eben.«
Ich verdrehte die Augen. Noch vor sechs Monaten wäre mein Bruder nicht einmal imstande gewesen »Freizeitkleidung« zu definieren, geschweige denn »formell«. Vor zehn Monaten, an seinem einundzwanzigsten Geburtstag, wurde Chris auf einer Party festgenommen, weil er Gras verkaufte. Was beileibe nicht sein erster Zusammenstoß mit dem Gesetz war: Im Verlauf seiner Schulzeit hatten sich bei ihm ein paar kleinere Einbrüche angesammelt (keine Verurteilung – sein Anwalt konnte einen Deal mit dem Richter aushandeln), einmal Trunkenheit am Steuer (Freispruch, wundersamerweise) sowie ein Verstoß gegen das Betäubungsmit telgesetz (mit Riesenglück nur Sozialdienst und eine saftige Geldstrafe). Doch die Sache auf der Party brach ihm endgültig das Genick: Er wanderte in den Knast. Zwar nur für drei Monate, aber es reichte, um ihm eine solche Angst einzujagen, dass er sich von da an zusammenriss. Er suchte sich einen Job bei einer
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, wo er eines Tages Jennifer Anne kennen lernte, als sie ihr Auto zur Dreißigtausend-Meilen-Inspektion vorbeibrachte.
Jennifer Anne war, wie meine Mutter es nannte, kein ganz einfacher Charakter: Sie hatte keine Angst vor uns und es war ihr egal, wenn wir es merkten. Sie war ein zierliches Mädchen mit wallendem blondem Haar, schlau wie ein Wiesel (obwohl wir das nur höchst ungern zugaben). Und sie hatte aus meinem Bruder in sechs Monaten mehr gemacht, als meiner Mutter und mir in einundzwanzig Jahren gelungen war. Sie brachte ihn dazu, sich besser anzuziehen (zum Beispiel lässig-formell), fleißiger zu arbeiten und grammatikalisch korrekt zu sprechen, inklusive des Gebrauchs schicker Modewörter wie Networking und Multitasking. Sie arbeitete als Rezeptionistin in einer Gemeinschaftspraxis, redete von sich selbst jedoch gern als »Fachkraft für Büromanagement«. Jennifer Anne besaß das Talent, alles besser klingen zu lassen, als es war. Ich hatte mal mitgekriegt, wie sie jemandem von Chris’ Job erzählte und ihn dabei als »Allround-Experten für Automobilflüssigkeiten« bezeichnete, wodurch sich seine popelige Stelle bei
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anhörte, als würde er nicht in einer Autowerkstatt mit Schnellservice arbeiten, sondern bei der
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