Zu nah am Feuer: Roman (German Edition)
dadurch ein Wunder geschehen.
»Hi, Summer«, begrüßte er sie in wenig respektvollem Tonfall und bekam dafür einen kräftigen Rippenstoß versetzt. Er revanchierte sich mit einem leichten Rippenstoß. »Wie geht’s denn so?«
Sie merkte selbst, dass sie ein wenig dümmlich grinste. »Gut.«
»Herrgott noch mal. Nun beweg dich.« Einer der anderen Jungs stieß Danny aus dem Weg.
Wenn Danny der hübscheste Junge in Ocean Beach war, dann war Mitch der Dorftrottel. Während er weiter rückwärtsjoggte, sandte er einen Haufen nasser, ekelhafter Kussgeräusche in Richtung Summer. Seine beiden doofen Freunde lachten sich dabei schier kaputt. »Na, was meinst du, Flowerpower-Mädchen? Wie wär’s mit uns beiden? Heute Abend. Gib dem Dicken hier den Laufpass, dann zeig ich dir, was ein richtiger Mann mit seinen Händen anstellen kann. Und glaub mir, ich mache keine Fotos – es sei denn, du möchtest es.«
»Halt die Klappe, Mitch«, sagte Joe.
Summer sah ihn an und flehte im Stillen, dass er es damit bewenden ließ. Aber Joe ließ ja nie etwas auf sich beruhen. Stattdessen machte er seinen Gefühlen – und seiner Wut – immer wieder Luft, was dazu führte, dass alle auf ihm herumtrampelten. Beim letzten Mal, als er Mitch zur Rede stellte, hatte er sich ein blaues Auge und eine geschwollene Lippe eingehandelt. Das war zwar ein geringer Schaden im Vergleich zu dem, was Joes Vater im Suff anrichten konnte – aber trotzdem.
»Komm schon, Summer.« Mitch lächelte so gemein, dass es ihr kalt den Rücken hinunterlief. »Wie wär’s mit ein paar Spielchen – ich zeig dir meins, du zeigst mir deins. Und ich meine damit nicht deine schicken kleinen Kristalle.« Er fand das zum Brüllen komisch, bis sich Joe schließlich mit geballten Fäusten und vom Hals baumelnder Kamera auf ihn stürzte.
»Joe, lass das«, rief Summer und zog ihn am Hemd zurück.
» Joe, lass das «, äffte Mitch sie nach, aber schließlich packte Danny seinen Freund und schob ihn weiter, während er Summer einen kurzen, entschuldigenden Blick zuwarf.
Sie lächelte dankbar.
Er erwiderte ihr Lächeln.
Sie bekam ganz weiche Knie davon, und für einen Moment, während sie weiterliefen, blickte sie ihm nur nach und sandte ihm Führ-mich-zum-Ball-aus -Gedanken nach. Dann drehte sie sich zu Joe um.
Er hatte die Laufbahn verlassen.
»Joe? Wohin willst du denn?«
Er lief nicht langsamer, und seinem Tempo nach zu urteilen hatte er vermutlich Aufwind bekommen.
»Joe, bleib doch stehen!«, rief sie ihm nach. »Wir verlieren die zehn Punkte, wenn wir den Rest der Stunde schwänzen!« Sie zögerte, weil sie sich durch einen Zehn-Punkte-Verlust eine Zwei einhandeln würde, wo sie doch so großen Wert auf ihre Eins in Sport legte, aber so war Joe nun mal; aber seine hängenden Schultern stimmten sie trotzdem ganz traurig. »Verdammt.«
Er rannte die schmale Seitenstraße hinter der Schule hinunter, als wäre er ein Marathonsprinter. Summer hatte ihn noch nie sich derart schnell bewegen sehen und lief ihm hinterher.
Falls Joe bemerkt hatte, dass sie ihm folgte, so ließ er es sich nicht anmerken; er rannte nur weiter, als hinge sein Leben davon ab. Die schwüle Hitze stieg vom Asphalt auf und drang in Summers Laufschuhe. Inzwischen waren sie im Zentrum von Ocean Beach angelangt und kamen am Getränkeladen vorbei, wo sie immer ihr Mineralwasser kauften, dann am billigen Kaufhaus, wo Summer, wenn sie Geld hatte, Lipgloss und Zeitschriften erwarb, schließlich an ihrem Lieblingsburgerlokal neben dem neuen In-Restaurant mit dem Neonreklameschild. »Joe? Willst du was trinken?«
Er bog in die Newport Avenue ein.
»Dann eben nicht«, murmelte sie, als sie an dem Tattooladen vorbeikamen, der seine Tätowierungsdienste »in der San-Diego-Tradition« offerierte, was immer das bedeutete; schließlich endete die Straße am Strand. Joe bog in eine kleine Seitenstraße ein, die Summer gut kannte, weil ihrer Mutter und ihrer Tante eines der alten Lagerhäuser dort gehörte, in dem sie die Vorräte für »Creative Interiors« aufbewahrten, ihr Möbel- und Einrichtungsgeschäft an der Hafenpromenade.
An einem heißen Tag wie diesem schlichen sich Summer und Joe oft in den kühlen Keller. Wenn sie etwas Geld hatten, kauften sie zuerst einen Frozen Yoghurt und kamen dann hierher und unterhielten sich stundenlang. In jüngerer Zeit hatte sich Summer hier mit Danny auf mehr als nur geeisten Joghurt getroffen.
Das Lagerhaus war ihr geheimes Refugium, und Summer wusste:
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