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Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Zuckerpüppchen - Was danach geschah

Titel: Zuckerpüppchen - Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heidi Hassenmüller
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du uns dreien ein Glas Sekt ein?” Gaby prostete ihnen zu, trank den Sekt, aß von den kleinen noch übrig gebliebenen Pastetchen und lächelte und nickte und trank und aß. Und dann wurde ihr übel, und sie lief ins Studentenklo und kotzte alles wieder aus. Sekt und Pastetchen und ihre Entschuldigung. Ich werde schreiben, dachte sie, während sie die Toilettenschüssel umklammerte. Ich werde schreiben. Ich werde sagen, wie es war. Daß das Kind nicht schlecht war. Daß ich nicht schlecht war.
     
    Und eines Nachts war es so weit. Gaby stand auf und ging nach unten. Und während sie sich wie in Trance ein Glas Milch wärmte, fragte sie sich, wo um Himmels willen sie anfangen sollte. Und sie setzte sich, nahm einen Bleistift und fing an zu schreiben. Sie begann damit, wie es begann. “Es klingelte. Die Kinder zählten: einmal, zweimal, dreimal. Es war kalt an diesem Februarmorgen 1947...” Gaby erinnerte sich, wie kalt es gewesen war, als sie auf Socken zu der Tür lief. Sie schauderte. “Wer ist da?” hatte sie gefragt. Das hatte Mutti ihr eingeschärft. Du mußt immer fragen, wer da ist. Er hatte vor der Tür gestanden. “Ich bin ein Kriegskamerad deines Vaters”, hatte er durch die geschlossene Tür gerufen. Mutti hatte ihn hereingelassen. Und in ihr Leben gelassen. Braungebrannt und wohlgenährt zurück aus ägyptischer Kriegsgefangenschaft, in der Maske des Biedermanns, hinkend durch eine Kriegsverletzung, aber kein Pferdefuß, der ihn als Verkörperung des Bösen identifizierte. “Ich habe dem Ferdi versprochen, mich notfalls um seine Frau und die Kinder zu kümmern”, war ein Zauberwort. Es öffnete ihm die Tür, es machte ihm das Bett, und später gab Mutti ihm die Hand fürs Leben. Und der Leidensweg des kleinen Mädchens begann. Gaby schrieb, wie er das erste Mal Achim verhaute. Und wie sie sich weinend versteckt hatte. Und wie froh sie war, daß sie Pappis Zuckerpüppchen war und er zu ihr so lieb war. Bis zu dem Mittag, als sie sich zu ihm legte und er ihr eine Geschichte erzählte. Sie sah sich liegen, ein kleines, kränkelndes Kind, das mittags ruhen mußte. Und das sich voll Vertrauen an den Mann schmiegte, der jetzt ihr Pappi war. Und der ihr auf dem Küchensofa eine Geschichte erzählte und dabei in ihren Schlüpfer griff. “Hör auf“, hatte das Kind gesagt. “Das ist eine doofe Geschichte.” Und er hatte gesagt: “Ich will aber nicht aufhören.” Und seine Finger hatten ihr wehgetan. Und als er endlich aufhörte, hatte er ihr einen kleinen Klaps auf den Po gegeben und gesagt: “Daß du nichts der Mutti erzählst. Dann wird sie böse auf dich. Und sie mag dich nicht mehr. Das ist jetzt unser Geheimnis.” Damit hatte alles begonnen. Das Geheimnis. Ein schlimmes Geheimnis. Das Kind hatte nicht gewagt, deutlich etwas zu sagen. Einmal hatte sie es versucht. “Ich finde Pappi gar nicht mehr lieb”, hatte sie zu Mutti gesagt, aber Mutti hatte nur erstaunt eine Augenbraue hochgezogen und gemeint, daß das ja etwas ganz Neues sei und daß er sie doch anbete, sein Zuckerpüppchen.
    Als Gaby in dieser ersten Nacht die Szene auf dem Küchensofa schrieb, wußte sie, daß sie nicht wieder aufhören konnte, bis sie zumindest den Versuch gemacht hatte, die zwölf Jahre ihrer Jugend zu beschreiben, die nun folgten. Und während sie die Szene auf dem Küchensofa beschrieb, fühlte sie die harten Finger, die dem Kind so wehgetan hatten.
    Und sie war das Kind, das sich fürchtete und nicht begriff, was da geschah. Das Kind, das sich voll Vertrauen an den Mann geschmiegt hatte. Das Kind, das Zärtlichkeit und Liebe gesucht hatte und das zum ersten Mal der harten Sexualität eines Erwachsenen begegnete.
    Und sie war die Frau von vierzig, die Mitleid mit dem Kind hatte. Die es in die Arme nahm und es tröstete. “Du konntest nichts dafür. Du wolltest das nicht. Du wolltest Geborgenheit, und er hat dich entblößt. Du wolltest Zärtlichkeit, und er hat dich verletzt.” Und sie weinte um das Kind und um all die anderen Kinder, die heute noch Tag für Tag dasselbe erleben. Denn alle Kinder wollen Liebe und Zärtlichkeit, sie wollen schmusen und in den Arm genommen werden, aber sie wollen nicht mit der Sexualität der Erwachsenen konfrontiert werden. Das alles wußte sie als Frau von vierzig.
    Als sie gegen Morgen die beschriebenen Blätter in ihrer Schreibtischschublade verbarg, fragte sie sich, wie sie es durchhalten sollte. Sie wußte, sie konnte nur schreiben, wenn sie sich wieder ganz

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