Zuflucht im Teehaus
Heiratsantrag kriegen würde, wenn ich mit einem kaputten Knie und Bauchweh im Krankenhaus lag.
»Ich kann nicht heiraten«, sagte ich.
»Das heißt, du willst nicht heiraten?«
Ich versuchte meine wirren Gedanken zu ordnen. »Ich liebe dich – das weiß ich seit ein paar Monaten –, aber ich bin noch nicht bereit, deine Frau zu werden. Ich muß selber ein ordentliches Einkommen haben, erst dann kann ich daran denken, einen gemeinsamen Haushalt zu gründen.«
Hugh nahm meine Hand. »Ich könnte ein Jahr warten. Sogar zwei.«
»Tatsächlich?«
»Ich vergesse immer, wie jung du bist. Du mußt über viele Dinge nachdenken.« Er strich vorsichtig über die genähte Wunde an meiner Hand. »Ich will trotzdem nach Schottland, aber ich werde mir eine 800er Nummer zulegen, damit du fürs Gespräch nichts zahlen mußt. Dann kannst du mir jeden Tag über den aktuellen Stand deiner Gefühle berichten.«
Ich mußte so sehr lachen, daß ich mein Knie völlig vergaß und nur noch seine Umarmung wahrnahm. Vielleicht war mein Leben nicht perfekt, aber schrecklich war es auch nicht, das wußte ich jetzt.
Ein paar Tage vor meinem Flug nach Kalifornien besuchte Nana Mihori mich im St. Luke’s. Sie trug nicht ihren üblichen Kimono, sondern eine senfgelbe Bluse und eine schmal geschnittene Hose. Als ich ihr ein Kompliment machte, wiegelte sie sofort ab, wie es die japanische Etikette erforderte.
»Hosen haben eigentlich nur den Vorteil, daß sie bequem sind. Ich muß in letzter Zeit so viel Zug fahren, immer von der National Police Agency zum Tokyo National Museum und zurück, und dazwischen muß ich mich noch mit den anderen Damen vom Teekomitee treffen. Im Moment ist mein Terminkalender ziemlich voll.«
»Bitte, setzen Sie sich doch«, sagte ich.
»Rei-san, ich bin Ihnen sehr dankbar.«
Ich spürte, wie ich rot wurde. »Ich habe nicht das getan, was Sie wollten. Wenn ich es getan hätte, wäre das alles vielleicht nicht passiert.«
»Es ist alles nur deshalb passiert – das, was mein Adoptivsohn und sein Bruder getan haben –, weil wir, Akemi und ich, die Schriftrolle von Mitsuhiro unbedingt für uns haben wollten. In meinem tiefsten Innern wußte ich, daß es falsch war, die Rolle aus dem Archiv zu nehmen, aber ich habe mir einfach so viele Gedanken darüber gemacht, wie wir leben sollten, wenn Kazuhito den Tempel übernähme. Ich wollte nicht wie meine Schwester in einem Haus wohnen, in dem ich nicht willkommen bin.«
»Wir wollen alle unabhängig sein«, sagte ich. »Allerdings würde mich noch eines interessieren: Woher wußten Sie, daß die Schriftrolle in der tansu versteckt war?«
»Das ist eine lange Geschichte. Zuerst habe ich die Schriftrolle bei unseren anderen Antiquitäten aufbewahrt, aber leider hat Nomu sie dort entdeckt und selbst versteckt. Als Haru ihn dann irgendwann ins Krankenhaus gebracht hat, haben Akemi und ich das Haus durchsucht. Wir haben die Schriftrolle unter den geschäftlichen Unterlagen meines Bruders gefunden. Ich habe beschlossen, sie in der tansu zu verstecken, weil ich noch von früher wußte, daß sie einen doppelten Boden hat. Wir waren der Meinung, daß es keinen Sinn hat, Haru von dem neuen Versteck zu erzählen. Tja, und dann hat sie die Kommode plötzlich diesen Sommer bei Hita Fine Arts in Kommission gegeben. Nun mußten wir die tansu kaufen, um wieder an die Schriftrolle zu kommen. Ich habe Sie beauftragt, damit mein Bruder und meine Schwester nichts davon erfuhren.«
»Und wie haben Kazuhito und Jun davon erfahren?«
»Wahrscheinlich hat Kazuhito ein Gespräch belauscht, das Akemi und ich auf dem Tempelfriedhof geführt haben. Wir dachten, wir seien dort sicher, aber offensichtlich hatten wir uns getäuscht.«
»Jetzt ist das Tempelgelände wieder sicher«, sagte ich.
»Ja.« Sie wirkte ein wenig traurig. »Schon bald wird Nomus Urne auf unserem Friedhof beigesetzt. Wir haben auch Mrs. Sakai gebeten, die Asche ihres Mannes nach Horin-ji zu bringen. Ich bin mir nicht sicher, ob sie das möchte, aber ich hatte das Gefühl, daß eine solche Geste nötig war. Schließlich hat sie ja keinerlei Schuld an unserer Familienauseinandersetzung.«
»Vielleicht nimmt sie Ihr Angebot an«, sagte ich. Weil es in Japan so wenig Land gibt, sind die Preise für Beisetzungen auf einem Tempelgelände astronomisch hoch. Insofern war dieses Angebot möglicherweise ein Segen für sie. Dabei hatte nicht einmal Nana Mihori Mr. Sakai etwas angetan, sondern Kazuhito, der aufgrund seiner
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