Zum Frühstück kühle Zärtlichkeit
Er machte eine entschuldigende Handbewegung, was offenbar bedeuten sollte: Tut mir leid, Liebling, ich bekomme diesen Menschen nicht von der Strippe weg.
Sie spitzte den Mund zu einem Kuß, schlug die Beine übereinander, lehnte sich zurück. Viktor war sieben Jahre älter als sie, zweiunddreißig. Beim Tennisspielen hatte sie ihn kennengelernt, vor einem Jahr hatten sie geheiratet. Sie bereute es nicht, sie war glücklich, fast ganz glücklich – obwohl da etwas war, was ihr Sorgen machte.
Sie hatte Angst vor sich selber und konnte doch mit keinem Menschen darüber sprechen. Am wenigsten mit ihrem Mann.
Er liebte sie, und er würde entsetzt sein, wenn er von ihr die Wahrheit hören müßte. Er war Rechtsanwalt, für sein Alter enorm erfolgreich. Er war glücklich, wollte demnächst ein Haus bauen.
Ein Haus mit Garten.
Für die Kinder, die er haben wollte, die er von ihr erwartete.
Endlich legte er den Hörer auf die Gabel, stand hinter seinem Schreibtisch auf, beugte sich zu ihr herunter, küßte sie. »Warst du beim Arzt, ja?« fragte er.
Sie nickte. Sie war froh, daß es vorbei war. Die Untersuchungen bei einem Frauenarzt waren ihr immer schon unangenehm gewesen. »Es ist alles in Ordnung«, sagte sie. »Du kannst dich trösten. Ich bin ohne Befund.«
Viktor griff nach ihrer Hand. »Sei mir nicht böse, Laura – aber sich Kinder zu wünschen, das ist doch nichts Unnatürliches.«
»Es wird schon werden«, lächelte sie. »Sei nicht so ungeduldig.«
»Ich bin nicht ungeduldig. Aber es ist gut zu wissen, woran man ist.«
Laura schwieg.
Er trat hinter sie, nahm sie bei den Schultern. »Ich liebe dich Laura. Jeden Tag ein bißchen mehr.«
Tränen stiegen ihr in die Augen. Viktor sagte so etwas selten. Die Liebe zwischen ihnen fand er selbstverständlich. Und es freute ihn sogar, wenn fremde Männer seine Frau bewunderten.
Jetzt steckte Viktors Sekretärin den Kopf zur Tür herein: »Herr Rechtsanwalt, darf ich Sie an die Scheidungssache Kolpinsky um elf Uhr dreißig erinnern?«
Laura stand auf. »Ich halte dich nicht mehr von der Arbeit ab.«
Er begleitete sie bis zur Tür. »Was für Plätze haben wir in der Oper?«
»Zehnte Reihe«, antwortete sie. »Übrigens ist seit Wochen alles restlos ausverkauft.«
»Na ja, Karajan.« Er schmunzelte.
Daß sie die Karten beinahe verloren hätte, das behielt sie lieber für sich.
Die Patienten eines Psychiaters wollen nicht gern gesehen werden. Wer zum Psychiater geht, schämt sich, als könne man ihm seine geheimen Probleme von der Stirn ablesen. Nur kein Wartezimmer, wo man auf andere Menschen trifft, womöglich auf Bekannte.
Dr. Normanns Praxisräume lagen im sechsten, im obersten Stock eines modernen, komfortablen Wohnhauses. Schalldichte Wände schirmten sie von jedem Außenlärm ab. Die Sprechstundenhilfe trat meist gar nicht in Erscheinung. Die Patienten flüsterten ihre Namen in eine Sprechanlage, die Tür öffnete sich automatisch. Den Weg zum Sprechzimmer fanden sie allein.
Richard Normann stand am Fenster, blickte auf die Dächer der Stadt. Als Seelenarzt hat man eigentlich gar kein Recht darauf, selber Probleme zu haben. Das Schicksal der andern – das war seine tägliche Arbeit.
Dennoch dachte er heute über sich selbst nach. Er versuchte, sich zu analysieren. Die Begegnung mit dem Mädchen hatte ihn ziemlich durcheinandergebracht.
Wieso konnte ihm ein Gesicht so viel bedeuten? Hatte er, wann und wo er eine Frau kennenlernte, immer nur dieses Gesicht gesucht?
Normann trat an seinen Schreibtisch, riß eine Schublade auf, verstreute wahllos Fotos über die Tischplatte: Marilyn.
Lange hatte er die Bilder nicht mehr betrachtet. Jetzt spulte der Film dieser vergangenen Jahre wieder ab. Der Jahre mit Marilyn. Was Liebe sein konnte, er hatte es erlebt – und nie mehr vergessen. Er gehörte zu den glücklichen Menschen.
Bis eines Morgens, sechs Wochen vor der geplanten Hochzeit, dieser Sergeant in seiner New Yorker Wohnung anrief. »Dr. Normann?«
»Yes.«
»I am sorry …«
Es war nicht viel, was der Sergeant berichtete. Marilyn war in ihrem Wagen bei einem Überholmanöver in Brooklyn von einem Laster gerammt worden. Sie war auf der Stelle tot gewesen.
Normann ergriff damals die Flucht. Gab alles auf, was er sich in Amerika aufgebaut hatte. Kehrte nach Deutschland zurück. Und ließ sich in der Stadt nieder, in der er als kleiner Junge gespielt hatte.
Seine Eltern waren tot. Ein paar Freunde waren übriggeblieben. Und die Arbeit. Zehn,
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