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Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer

Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer

Titel: Zwanzigtausend Meilen unter'm Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jules Verne
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befanden uns hier im Mittelpunkt einer geräumigen, lichten Stelle, die von hohem Baumwuchs umgeben war. Unsere Lampen verbreiteten eine Art Dämmerschein, in welchem lange Schatten über den Boden fielen. An der Grenze dieser Lichtung begann wieder tiefes Dunkel.
    Ned-Land und Conseil befanden sich neben mir. Wir sahen zu als Zeugen einer merkwürdigen Scene. Der Boden hatte an verschiedenen Stellen leichte mit einer Kalkkruste überzogene Erhöhungen in regelmäßiger Ordnung, als wie von Menschenhand gefertigt.
    In der Mitte der Lichtung war auf einem Piedestal roh aufgeschichteter Steinblöcke ein Kreuz von Korallen errichtet.
    Auf einen Wink des Kapitäns Nemo trat einer der Männer vor und begann einige Schritte vor dem Kreuz mit einer Hacke, die er von seinem Gürtel nahm, ein Loch zu graben.
    Jetzt wurde mir’s klar: Diese Lichtung war ein Friedhof, dies Loch ein Grab, der längliche Gegenstand die Leiche des verstorbenen Mannes. Der Kapitän mit seinen Leuten war damit beschäftigt, den Kameraden an dieser unzugänglichen Stelle des Meeresgrundes zu bestatten.
    Inzwischen wurde das Grab langsam fertig. Als es weit, tief und lang genug war, traten die Träger hinzu, und der Leichnam, in weiße Byssus gehüllt, wurde in die nasse Stätte eingesenkt. Der Kapitän Nemo, mit über der Brust gekreuzten Armen, und alle Freunde des Verstorbenen, sanken gleich Betenden auf die Kniee … Meine Gefährten und ich, wir neigten uns in frommer Ehrerbietung.
    Darauf wurde das Grab wieder zugeschüttet, so daß es eine leichte Erhöhung bildete.
    Hierauf stand der Kapitän mit seinen Leuten wieder auf, dann stellten sie sich nahe um das Grab, bogen alle ihre Kniee und streckten ihre Hand aus zum letzten Abschied …
    Sodann begab sich die Leichenbegleitung wieder auf den Heimweg zum Nautilus, unter dem gewölbten Bogengang, inmitten des Baumschlags und längs der Korallengebüsche, stets bergan.
    Endlich zeigten sich die Leuchten an Bord des Nautilus. Ihr Lichtschein führte uns bis zu demselben. Um ein Uhr waren wir wieder zurück.
    Sobald ich meine Kleidung gewechselt, begab ich mich auf die Plateform, und von Gedanken überwältigt wollte ich mich neben der Leuchte niedersetzen.
    Der Kapitän Nemo kam auf mich zu. Ich stand auf und sprach:
    »Also, wie ich voraus sah, ist der Mann in der Nacht gestorben?
    – Ja, Herr Arronax, erwiderte der Kapitän.
    – Und nun ruht er bei seinen Genossen auf dem Korallenfriedhof?
    – Ja, vergessen von der Welt, außer uns! Wir graben das Grab, und die Polypen bestatten unsere Todten für ewig!«
     

    Eine unterseeische Leichenbestattung. (S. 215.)
     
    Und sein Gesicht mit den Händen bedeckend versuchte der Kapitän vergebens sein Schluchzen zu verbergen. Dann fügte er bei:
    »Hier ist unser Friedhof, einige hundert Fuß unter dem Meeresspiegel!
    – Ihre Todten ruhen da gewiß friedlich, Kapitän, unangefochten von den Haifischen!
    – Ja, mein Herr, erwiderte ernst der Kapitän Nemo, vor den Haifischen und den Menschen!«

Zweiter Theil

Erstes Capitel.
Der Indische Ocean.
    So verlief also das ganze Leben des Kapitäns Nemo im Schooße des unermeßlichen Meeres bis zum Grabe in unergründlicher Tiefe, an der stillen Stätte, wohin kein Ungeheuer des Oceans drang, den letzten Schlummer der Genossen des Nautilus zu stören, seiner Freunde, die im Tode wie im Leben fest mit einander verbunden waren! »Auch kein Mensch sollte sie da stören«, hatte der Kapitän beigefügt.
    Stets dasselbe Mißtrauen, das wilde, unversöhnliche, gegen die menschliche Gesellschaft!
    Ich beruhigte mich nicht bei der Annahme, welche Conseil befriedigte, der Commandant des Nautilus sei nur einer der verkannten Gelehrten, welche den Menschen ihre Gleichgiltigkeit mit Verachtung erwidern. Er hielt ihn ferner für ein unverstandenes Genie, welches der Täuschungen der Erdenwelt müde, sich in dieses unzugängliche Gebiet hatte flüchten müssen, wo den Trieben seines Geistes ein freies Wirken vergönnt war. Allein, meines Erachtens, erklärte diese Annahme nur eine der Seiten seines Charakters.
    In der That, das Geheimniß dieser letzten Nacht, während deren wir im Gefängniß und durch Schlaf gefesselt waren; die so gewaltsam ausgeübte Vorsicht, mir das Fernrohr, womit ich den Horizont zu betrachten im Begriff war, von den Augen wegzureißen; die tödtliche Verwundung des Mannes, die von einem unerklärlichen Stoß des Nautilus herrühren sollte, – alles dies drängte mich in eine neue Bahn. Nein!

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