Beim ersten Sonnenstrahl (Teil 2) (German Edition)
So endete die letzte Folge:
David atmete noch immer schwer und hatte die Augen geschlossen. Sie sprachen kein Wort, endlose Minuten lang, sondern hielten sich an den Händen. Zahar kuschelte sich an Davids Schulter und deckte ihn mit einer Schwinge zu.
Als Davids Atem langsamer und tiefer ging, befürchtete Zahar, er würde einschlafen. Er küsste seine Schulter und entzündete anschließend die Kerze auf dem Nachttisch.
Das grelle Licht der winzigen Flamme schmerzte kurz in seinen Augen. Auch David zwinkerte.
Das peinliche Schweigen war bei Helligkeit schwerer zu ertragen, daher suchte Zahar Ablenkung und fand sie neben dem Tablett mit dem kalten Tee. Dort lag eine Zeitung, ein Wissenschaftsmagazin.
Er nahm es an sich und strich das Papier glatt. Auf der ersten Seite stand ein Bericht über die Weltausstellung in Paris, die dort vom ersten April bis dritten November auf dem Marsfeld stattfand.
David hatte sich, während er den Artikel überflog, neben ihn an die Bettkante gesetzt, um sich Tee einzugießen. »Magst du einen Schluck?«
Zahar schüttelte den Kopf. Er mochte keinen Tee. Milch oder Wasser waren seine bevorzugten Getränke. »Wie schnell der Fortschritt vorangeht«, murmelte er und staunte über die technischen Innovationen, von denen das Magazin berichtete. »Einundvierzig Länder nehmen teil«, sagte er ehrfürchtig. »Joseph Monier hat ein Patent auf Stahlbeton angemeldet. Und deine Fahrstuhlfreunde sind auch dabei.«
David beugte sich zu ihm. »Die Gebrüder Otis?«
»Ja, Charles und Norton stellen den Sicherheitsaufzug vor.«
»Von ihnen hab ich die Pläne für Grannys …« David runzelte die Stirn. »Moment, woher weißt du das?«
»Ich habe deinen Brief an sie gesehen«, sagte er und biss sich auf die Zunge. Hastig deutete er auf den Text. »Unglaublich viele Aussteller sind dort, über 52 000!«
»Du kannst lesen?«
Puh, David war ihm nicht böse. »Das gehört zu unserer Ausbildung. Das macht es leichter, die Menschen zu beschützen.« Zahar schmunzelte, als David begann, erneut neugierige Fragen zu stellen.
»Habt ihr eine eigene Sprache?«
»Ja, eine Mischung aus Knurr-, Schnalz-und Gurgella uten. Sie wi rd nur noch von den Alten gesprochen.«
»Sehr interessant«, sagte er, doch er schien nicht Zahars Aussage zu meinen, denn er starrte auf den Artikel. Plötzlich wurden seine Augen groß. »Jules Verne besucht die Ausstellung!«
Zahar hatte keine Ahnung, wer das war. So wie David strahlte, musste er den Mann kennen und verehren. »Ist das ein Wissenschaftler?«, fragte er.
David lächelte ihn an. »Ne in, aber er interessiert sich sehr für alles, was damit zu tun hat. Er ist ein brillanter Schriftsteller, hat schon viele herausragende Zukunftsgeschichten verfasst. Ich lese ihn sehr gerne. Die Bücher Fünf Wochen im Ballon , Die Reise zum Mittelpunkt der Erde und Von der Erde zum Mond sind meine Lieblingsromane. Er wird eines Tages richtig berühmt, da bin ich sicher. Er schreibt auch Fortsetzungsromane für junge Menschen. Sie erscheinen im Magazin illustré d'éducation et de récréation , das ich mir, genau wie seine neusten Bücher, aus Frankreich kommen lasse.«
Zahar verstand kei n Fran zösisch. David war wirklich sehr gebildet. Er gab ihm die Zeitschrift, damit er den Bericht lesen konnte. David überflog ihn lächelnd, doch als er die Seite umblätterte, erstarrte sein Gesicht. »Das darf nicht wahr sein!«
»Was ist?« Zahar hielt die Luft an, seine Ohren zuckten.
David deutete auf die skizzierte Abbildung eines Kastens u nd wisperte: »V aters Kühlschrank.«
Das erneut entstandene Schweigen zerrte an Zahars Nerven. Er hat te so sehr ge hofft, David hätte mit sein er Vergangenheit abgeschlossen, aber anscheinend überwanden Menschen niemals den Tod einer geliebten Person. Bei den Gargoyles gab es andere Familienstrukturen, daher hatte Zahar keinen engen Bezug zu seinen Eltern. Die Kinder wurden von allen erzogen, mussten lernen, früh selbstständig zu werden, genossen eine harte Ausbildung. Körperliche Vertrautheit gab es meist erst wieder, wenn Gargoyles ihren Partner gefunden hatten. Dann war das eine Bindung fürs Leben. Die Paare konnten nicht genug voneinander bekommen.
»Hier steht, der Mann, der den ammoniakfreien Kühlschrank vorstellt, heißt Jonathan Bannister. Ob er Vaters Aufzeichnungen stehlen ließ? Ist er für den Mord an meinen Eltern verantwortlich?«
Davids kummervolles Gesicht schmerzte ihn zutiefst. Zahar wollte ihn glücklich
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