Zwei Geschichten von der See
zum Besten gaben (es erschien sogar ein Heftchen mit kunstvollen Reimen des Stegreifdichters Cuíca de Santo Amaro, das weithin verkauft wurde), besudelten das Andenken des Toten – so die Familie. Und das Andenken eines Toten ist bekanntlich etwas Heiliges und nicht für den wenig reinlichen Mund von Trunkenbolden gedacht, von Spielsüchtigen und Marihuanaschmugglern. Und auch nicht dazu, den Bänkelsängern unten am Elevador Lacerda für ihre armseligen Verse zu dienen, dort, wo so viele rechtschaffene Menschen vorbeikommen, darunter auch Amtskollegen von Leonardo Barreto, Quincas’ entwürdigtem Schwiegersohn. Wenn ein Mensch stirbt, so tritt er wieder in seine wahrhaftigste Ehrenhaftigkeit ein, selbst wenn er im Leben über die Stränge geschlagen hat. Der Tod mit seiner Abwesenheitshand löscht die Flecken der Vergangenheit, und das Andenken des Toten funkelt diamantengleich. So die Auffassung der Familie, beklatscht von Nachbarn und Freunden. Den Verwandten zufolge wurde aus Quincas Wasserschrei bei seinem Tode wieder der vormalige Joaquim Soares da Cunha, ehrenhaft, aus guter Familie, vorbildlicher Beamter der Zolleinnahmestelle, ein Mann von gemessenem Gang, sauber gestutztem Bart, stets im schwarzen Sakko aus Alpakawolle, die Dokumentenmappe unterm Arm, einer, dem die Nachbarn respektvoll zuhörten, wenn er sich zum Wetter äußerte oder zur Politik, nie sah man ihn in einer Kneipe, Schnaps gab es zu Hause und in Maßen. Im Grunde hatte es die Familie mit einer jeden Beifalls würdigen Anstrengung erreicht, dass Quincas’ Andenken schon seit einigen Jahren ohne Makel erglänzte, indem sie ihn gegenüber der Gesellschaft für tot erklärte. Sofern die Umstände es erforderlich machten, auf ihn Bezug zu nehmen, sprach man von ihm in der Vergangenheitsform. Leider aber lief ab und zu ein Nachbar, ein Kollege Leonardos oder eine schwatzhafte Freundin Vandas (der beschämten Tochter) Quincas über den Weg oder hörte durch Dritte von ihm. Dann war es, als stünde ein Toter aus dem Grab auf, um sein eigenes Andenken zu beflecken: Besoffen lag er in der Sonne, am helllichten Vormittag, irgendwo bei der Rampa do Mercado, wo die Boote anlegen, oder verdreckt und in zerschlissener Kleidung, zusammengekauert auf schmuddeligen Kartons in der Vorhalle der Pilar-Kirche oder heisere Lieder grölend auf der Ladeira de São Miguel, Arm in Arm mit Schwarzen und Mulattinnen von mehr als zweifelhaftem Lebenswandel. Schrecklich!
Als schließlich an jenem Morgen ein Heiligenhändler, der seinen Laden an der Ladeira do Tabuão hatte, niedergeschlagen vor der Tür des kleinen, doch gepflegten Hauses der Familie Barreto stand, um Quincas’ Tochter Vanda und seinem Schwiegersohn Leonardo mitzuteilen, dass Quincas den Löffel abgegeben habe und tot in seiner elenden Absteige liege, da entrang sich der Brust der beiden Ehegatten unisono ein Seufzer der Erleichterung. Nie wieder würde die Erinnerung an den pensionierten Beamten der Zolleinnahmestelle gestört und in den Schlamm gezogen werden durch die widersinnigen Handlungen des Herumtreibers, in den er sich am Ende seines Lebens verwandelt hatte. Die Zeit der verdienten Ruhe war endlich gekommen. Fortan konnten sie über Joaquim Soares da Cunha frei sprechen, sein Verhalten preisen als Staatsdiener, als Ehemann und Vater, als Bürger, den Kindern seine Tugenden als Vorbild darstellen und sie lehren, das Andenken des Großvaters hochzuhalten, ohne Furcht vor Störungen aller Art.
Der Heiligenhändler, ein dünner alter Mann mit weißem Kraushaar, erging sich in Einzelheiten: Eine schwarze Verkäuferin von Maniok- und Maisbrei, Acarajé, Abará und anderen Köstlichkeiten war an jenem Morgen zu Quincas gegangen, um etwas Wichtiges mit ihm zu besprechen. Er hatte ihr versprochen, einige schwer zu findende Kräuter zu beschaffen, die für gewisse Candomblé-Rituale unabdingbar sind. Die Schwarze war gekommen, um die Kräuter zu holen, es eilte ihr damit, man befand sich in der heiligen Zeit der Festlichkeiten von Xangô. Wie immer fand sie die Tür zu dem Zimmer oben an der steilen Treppe unverschlossen. Quincas hatte schon vor langer Zeit den großen, uralten Schlüssel verloren. Genaugenommen war bekannt, dass er ihn an eine Gruppe von Touristen verkauft hatte, an einem dürren Tag, an dem ihm beim Spiel das Glück abhold war, und dazu hatte er sich eine Geschichte voller Daten und Einzelheiten ausgedacht, rund um den geweihten Schlüssel einer Kirche. Die Schwarze klopfte,
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