Zwei Geschichten von der See
erhielt keine Antwort, sie dachte, er schlafe wohl noch, drückte die Türe auf. Quincas lag lächelnd auf der Pritsche – das Laken schwarz vor Dreck, eine zerlumpte Überdecke auf den Beinen –, es war sein gewohntes warmherziges Lächeln, ihr fiel zunächst gar nichts auf. Sie erkundigte sich nach den Kräutern, die er ihr versprochen hatte, er lächelte weiter, ohne zu antworten. Durch ein Loch im Strumpf lugte der rechte große Zeh, auf dem Boden lagen die kaputten Schuhe. Die Schwarze, eine gute Freundin und an Quincas’ Späße gewöhnt, setzte sich aufs Bett und sagte ihm, sie sei in Eile. Sie wunderte sich, dass er nicht die freizügige Hand ausstreckte, die sonst doch sehr zum Kneifen und Tatschen neigte. Ein weiteres Mal starrte sie auf den großen Zeh, die Sache kam ihr seltsam vor. Sie tippte Quincas leicht an. Entsetzt stand sie auf und fasste die kalte Hand. Dann rannte sie die Treppe hinunter und verbreitete die Nachricht.
Tochter und Schwiegersohn hörten ohne Freude all diese Einzelheiten von der Schwarzen und den Kräutern, vom Tatschen und vom Candomblé. Sie wiegten die Köpfe, drängten den Heiligenhändler geradezu zur Eile, der ein ruhiger Mann war und eine Geschichte gerne in allen Einzelheiten darbot. Er war der Einzige, der von Quincas’ Verwandten wusste, dank einer Enthüllung in einer durchzechten Nacht, deshalb war er gekommen. Mit bedrückter Miene äußerte er sein »herzlichstes Beileid«.
Für Leonardo wurde es Zeit, ins Amt zu gehen. Er wandte sich an seine Frau:
»Kümmer du dich mal weiter, ich gehe kurz ins Büro, bin aber gleich wieder da. Ich muss mich rasch ins Anwesenheitsbuch eintragen. Ich rede mit dem Chef …«
Sie baten den Heiligenhändler herein, boten ihm einen Stuhl im Wohnzimmer an. Vanda ging sich umziehen. Der Heiligenhändler erzählte Leonardo von Quincas: An der Ladeira do Tabuão sei er bei allen beliebt gewesen, ausnahmslos. Warum habe er – ein Mann aus gutem Haus und vermögend, wie er nun feststellen könne, da er das Vergnügen habe, die Tochter und den Schwiegersohn kennenzulernen –, warum habe er sich jenem Herumtreiberdasein hingegeben? Wegen irgendeines Kummers? So musste es wohl sein. Womöglich hatte die Ehefrau ihm Hörner aufgesetzt, das kam ja häufig vor. Und der Heiligenhändler legte beide Zeigefinger an die Stirn, in einer dreisten Frage: Hatte er wohl richtig getippt?
»Dona Otacília, meine Schwiegermutter, war eine Heilige!«
Der Heiligenhändler kratzte sich am Kinn: Tja, warum dann? Aber Leonardo gab keine Antwort, er ging nach Vanda sehen, die aus dem Zimmer nach ihm rief.
»Wir müssen Bescheid sagen …«
»Bescheid? Wem? Wozu?«
»Tante Marocas und Onkel Eduardo … Den Nachbarn. Allen, die wir zur Beerdigung einladen müssen …«
»Warum denn die Nachbarn mit hineinziehen? Denen können wir später davon erzählen. Sonst brodelt die Gerüchteküche, dass es kein Vergnügen ist …«
»Aber Tante Marocas …«
»Ich spreche mit ihr und Eduardo … Nachher, wenn ich im Büro war. Beeil dich lieber, sonst geht dieser Bursche überall mit seiner Nachricht hausieren …«
»Wer hätte das gedacht … Stirbt einfach, ohne dass irgendjemand …«
»Wer hat denn Schuld daran? Doch wohl er selbst, dieser Spinner …«
Im Wohnzimmer bewunderte der Heiligenhändler ein farbiges Porträt von Quincas von vor etwa fünfzehn Jahren, es zeigte einen eleganten Herrn mit Stehkragen, schwarzer Krawatte, gezwirbeltem Schnurrbart, Brillantine im glänzenden Haar und rosigen Wangen. Daneben, identisch gerahmt, der vorwurfsvolle Blick und der harte Mund von Dona Otacília im schwarzen, spitzenbesetzten Kleid. Der Heiligenhändler betrachtete die sauertöpfische Miene:
»Nein, die sieht nicht aus wie eine, die ihren Mann betrügt … Aber bestimmt war sie ein harter Knochen … Eine Heilige? Wohl kaum …«
3
Einige wenige Leute, Bewohner der Gassen am Hang, standen vor der Leiche, als Vanda eintraf. Der Heiligenhändler erklärte leise:
»Das ist die Tochter. Er hatte eine Tochter, einen Schwiegersohn, Geschwister. Vornehme Leute. Der Schwiegersohn ist Beamter, er wohnt in Itapagipe. Das Haus erste Sahne …«
Die Anwesenden traten beiseite, um sie durchzulassen, neugierig darauf, zu sehen, wie sie sich auf den Leichnam warf, den Toten umarmte, sich in Tränen hüllte, vielleicht schluchzte. Auf der Pritsche lag Quincas Wasserschrei, die Hosen alt und flickenbesetzt, das Hemd in Fetzen, in einer speckigen,
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