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Zwielichtlande

Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kellison
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Fall, dass ihr Minizusammenbruch, ausgelöst durch Alkohol, in der Öffentlichkeit stattfand. Wahrscheinlich würde sie von Wölfen mit gelben Augen plappern und … Nein. Etwas trinken zu gehen, war heute ganz bestimmt keine gute Idee.
    Katrina las die Antwort in ihrem Gesicht, zuckte kühl mit den Schultern und wandte sich ab.
    Annabella bemerkte, wie einige der Tänzerinnen Blicke untereinander tauschten. Eine formte mit den Lippen das Wort Diva – schon zum zweiten Mal wurde ihre heute dieser Stempel aufgedrückt. Diesmal traf sie die Beleidigung.
    Diva? Sie verstand das nicht. Sie hatte sich überhaupt nicht verändert, seit sie zur Primaballerina aufgestiegen war.
    Anna zog ihre Schuhe aus und warf sie in ihre Tasche. Dann wühlte sie darin nach einem Trainingsanzug, um ihn über Strumpfhosen und Trikot zu ziehen. Sie würde zu Hause duschen.
    Aber Diva ? Okay, heute Abend hatte sie um einen zusätzlichen Durchlauf gebeten, aber das kostete jede von ihnen vielleicht zehn Minuten. Höchstens fünfzehn. Und sie konnte nichts dafür, dass sie zu müde war, um noch etwas trinken zu gehen – schließlich hatte sie den ganzen Abend getanzt. Nicht die anderen. Im zweiten Akt von Giselle stand das Ensemble die meiste Zeit, und Venroy hatte ihnen erlaubt, den Großteil der Zeit zu sitzen.
    Diva? Bitte.
    Sie wickelte sich einen leichten Schal um den Kopf – auf gar keinen Fall durfte sie so kurz vor der Aufführung krank werden – und machte sich auf den Weg.
    Draußen empfing sie der intensive Geruch von Laub, in den sich Abgase und andere städtische Aromen mischten – von würzigem Essen, Bier, alter Zeitung, fauligem Abwasser und frischer Wäsche. Sie atmete tief ein, damit die allgegenwärtige Lebendigkeit der Stadt auf sie überging und sie es zurück zu ihrer Wohnung schaffte. Die Geräusche des fernen Verkehrs und der Sirenen trieben sie zu einem raschen Schritt an. Die Bushaltestelle war nur einen Block entfernt. Je eher sie zu Hause ankam, desto schneller konnte sie zusammenbrechen. Sie zog den Schal unter ihrem Kinn fester und ging noch etwas schneller.
    Die dunkle Straße war nicht ganz verlassen. Straßenlaternen und Gebäude sorgten für so viel Licht, dass sie in jeder Richtung vier Blocks weit sehen konnte. Ein Paar schlenderte vor ihr her, und eine Gruppe schnatternder Raucher – den verknitterten Hosen und Hemden nach zu urteilen junge Angestellte – drückte sich vor einem erleuchteten Eingang herum. Nichts, was ein Mädchen aus der Stadt beunruhigte.
    Die Bank an der Bushaltestelle war leer. Annabella setzte sich, schlug die Beine übereinander und blickte wieder die Straße hinunter. Kein Bus in Sicht.
    Ihre Gedanken wanderten zurück zu der Probe. Angespannte Schultern, hatte Venroy gesagt. Sie musste sich mehr Mühe geben, sich zu entspannen. Und er hatte sie ermahnt, auf ihre Arme zu achten. Vielleicht stimmte mit ihrer gesamten oberen Körperhaltung etwas nicht.
    Halt. Du verrennst dich schon wieder . Sie stand auf, um sich zu zerstreuen und lehnte sich gegen einen Laternenpfahl.
    Aber es schadete nicht, ein paar alte Videos anzusehen. Sie besaß eine Aufzeichnung von Natalia Makarovas Giselle . Sie hatte die Aufführung zwar tausendmal gesehen, aber nie auf ihre Schultern und auf ihre Arme geachtet. Vielleicht …
    Auf der anderen Straßenseite zog ein dichter Schatten ihre Aufmerksamkeit auf sich. Etwas bewegte sich, lungerte dort herum. Vielleicht eine große Katze. Oder ein Hund. Oder … oder …
    Ihr Herz schlug schneller. Bewusst wandte sie den Blick ab. Das passierte ihr nicht noch einmal.
    Wenn sie ihren iPod dabeihätte, könnte sie ihren Verstand ausschalten. Sie schüttelte sich und holte tief Luft.
    Es gab keinen Grund, die ganze Nacht auf der Bank zu warten. Sie konnte an der nächsten Haltestelle in den Bus steigen, denn sie brauchte eine größere Ablenkung. Sie griff ihre Tasche und zog gleichzeitig ihr Mobiltelefon hervor. Dann drückte sie die »1« und die Sprechtaste, um mit ihrer besten Freundin zu reden, die prompt abnahm.
    »He, Mom«, sagte Annabella. Sie hängte ihre Tasche über die Schulter und lief mit großen Schritten den Bürgersteig hinunter, wobei sie sich an das helle Licht der Straßenlaternen hielt. Paranoid, aber egal.
    »Ach, gut, dass du anrufst«, antwortete ihre Mutter. »Ich habe schon versucht, dich zu erreichen. Ich brauche eine zusätzliche Karte für die Freundin von deinem Bruder. Anscheinend hat er doch nicht mit ihr Schluss gemacht, sodass

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