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Zwielichtlande

Zwielichtlande

Titel: Zwielichtlande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Kellison
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alten, glücklichen und verzweifelten.
    Eine wachsende Wärme in Custos Bewusstsein sagte ihm, dass jemand seinen Ausguck auf der Mauer besetzt hatte. Er streckte seinen Geist aus, um Identität und Absicht desjenigen zu klären, bevor er umdrehte und einen anderen Weg nahm. Er befand sich wirklich nicht in der Stimmung.
    Ach. Sein vordem unbekannter Cousin Luca war wieder gekommen, um auf ihn aufzupassen. Es könnte schlimmer sein.
    Custo gesellte sich zu Luca, der an dem Steinwall über dem weitläufigen Gebiet der Zwielichtlande lehnte. Von dort blickte er hinunter auf die diamantweiße Küste des breiten, grauen Kanals und den sich anschließenden Schattenwald, dessen Blätter so dunkel und wandelbar wie Nachtschattengewächse wirkten. Die einzige Konstante in den Zwielichtlanden war die verführerische Frage, Was, wenn … ?
    Der Tod konnte jeden Augenblick zurückkehren. Aus diesem Blickwinkel und von dieser Höhe aus musste das kleine Boot des Schattenmannes zu sehen sein. Custos Fahrkarte hinaus.
    »Geh weg«, forderte Custo ihn auf.
    Luca lachte. »Ich dachte, du sehnst dich vielleicht nach etwas Gesellschaft.«
    »Du weißt, dass das nicht der Fall ist.« Er musste hier raus. Er musste einen Weg finden, in die Welt der Sterblichen zurückzukehren und Adam zu warnen. Den hatte der Geisterkrieg so absorbiert, dass er sicher nicht auf die Idee kam, in den eigenen Reihen nach einem Saboteur zu suchen, selbst nicht nach Spencers Verrat. Adam war einfach zu vertrauensselig. Ohne Adam würde das Segue Institut zugrunde gehen, und ohne Segue würde die Welt eines Tages von Geistern beherrscht.
    Luca seufzte. »Vielleicht kommt dir die Zeit erträglicher vor, wenn du einen Dienst übernimmst. Eventuell findest du deine Bestimmung. Es ist Großes zu leisten.«
    Nichts, für das er sich eignete. »Ich ziehe die Einsamkeit vor.«
    Dass Custo bei der Gnadenrettung durch den Himmel einigermaßen bei Verstand geblieben war, lag nur daran, dass sich an ihm trotz der überschwänglichen – und seiner Meinung nach leicht zwanghaften – Ordnung dieses Ortes, nichts verändert hatte. Zumindest soweit er das beurteilen konnte. Er war er immer noch er selbst, und wenn er auf der Außenmauer warten wollte, versuchte ihn niemand zu etwas anderem zu zwingen. Allein für diese Gnade verdiente Luca seine Aufmerksamkeit.
    Luca war in seinen späten Vierzigern gestorben, wirkte aber jung und fit wie fünfundzwanzig, lässig in Jeans und ein weißes T-Shirt gekleidet, während Custo Schwarz trug. Luca hatte lange dunkle Locken, ein beinahe feminines Äußeres, wäre da nicht dieser intensive Blick in seinen dunklen Augen gewesen.
    »Vielleicht findest du deine Erinnerungen dann weniger störend«, gab Luca zu bedenken.
    Nein, danke. Außer seinen Erinnerungen – den guten, den schlechten und den ganz schlechten – war ihm nichts geblieben. Alles, was ihn ausmachte. Er wollte nichts anderes werden. Niemand anders.
    »Nun, wenn du so weit bist. Ich werde dich immer finden.« Luca legte kurz eine Hand auf Custos Schulter und stieg dann die Treppenstufen hinab.
    Custo weigerte sich, sich zu verabschieden, und wandte sich wieder seinem Aussichtspunkt zu. Im Himmel gab es keinen Abschied, nur ungewollte, endlose Begrüßungen.
    Ein Blinzeln oder eine Ewigkeit später tauchte das Boot auf. Custo klammerte sich an die Mauer, um einen Anflug von Vorfreude zu unterdrücken.
    Er wusste nicht, wie lange er gewartet hatte. Eine Minute? Ein Jahr? Ein Jahrtausend? Er konnte es unmöglich sagen.
    Das schmale Boot beförderte zwei Passagiere, einen alten Mann, dessen weiße Haare im Schein des Tores leuchteten, und den großen, grimmigen Schattenmann, in wallende Dunkelheit gehüllt. Der alte Mann passierte das Tor, und im Himmel brachen Jubel und Willkommensrufe aus. Das Tor schloss sich vor dem mächtigen Pochen aus Zwielichtlande.
    Aber diesmal fuhr der Tod nicht wieder ab, obwohl göttliches Licht seinen Umhang durchdrang und ihn daran zurück zu den dunklen Bäumen zerrte. Seine glänzenden schwarzen Haare wehten im gleißenden Licht des Tores von den breiten Schultern. Sein nackter Körper war muskulös und die dunkle Haut des Todesboten schwarz gefleckt, verbrannt von der Helligkeit des Himmels. So schnell wie das Licht seine Nasenspitze versengte, erneuerte der Schatten sie. Der Tod wirkte ernst, vor Anstrengung traten seine hohen Wangenknochen hervor, aber nichts deutete daraufhin, dass er sich zurückzog.
    Endlich.
    »Kathleen!«, rief der

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