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Zwischen dir und mir

Zwischen dir und mir

Titel: Zwischen dir und mir Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lino Munaretto
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Krankenschwester?«
    »Sie hat mich einmal besucht.«
    »Und?«
    »Ach, keine Ahnung. Ein bisschen geredet. Es war mir so scheiße peinlich. Aber wenn sie mich hier besucht, muss sie echt nicht ganz dicht sein oder was von mir wollen, oder?« Er grinste. »Und wie sieht es bei dir aus?«
    »Lisa zieht bald weg von hier. Ihr Vater arbeitet ab Dezember in Berlin.«
    »Seid ihr zusammen?«
    Erst zuckte er nur mit den Schultern, dann nickte er noch etwas unsicher.
    »Warst du schon mit ihr im Bett?« Ganz hatte er seinen Instinkt nicht verloren.
    Alex konnte nur schmunzeln und hob scherzhaft die Schultern. Aber Justus hatte verstanden und grinste breit. Einen Spruch verkniff er sich. Stattdessen wurde seine Miene wieder ernster. »Und? Was wollt ihr machen, wenn sie weg ist?«
    »Ich weiß noch nicht. Schätze mal, das wird sich finden.«
    »Machst wohl immer noch keine großen Pläne, was?«
    Alex verzog die Lippen und nickte stumm. Durch die Frage kam er ins Grübeln. Er hatte mit Lisa keine Sekunde darüber geredet, sie hatten es herausgezögert, und jetzt war es nicht mal mehr einen Monat hin, bis sie umziehen würde.
    »Glaubst du daran, dass sowas für ewig halten kann?«, sprach er seine Zweifel laut aus und schaute seinen Bruder wieder direkt in die Augen. Die Hände hatte er im Schoß verkrampft.
    »Ich lag drei Nächte in dem verdammten Krankenhaus. Die ganze Zeit Schmerzen, Zweifel, quälende Stunden vergingen – und nur, wenn ich sie sah, gab mir das neuen Mut. Es hat gedauert, bis ich begriffen habe, dass dieses Gefühl dir keine Angst machen muss, sondern dir die Kraft zum Leben gibt. Was ich damit sagen will: Ich hab gelernt, dass es mutiger ist, an jemandem festzuhalten, als ihn loszulassen.«
    Alex schwirrten die Wörter im Kopf umher, bis er merkte, dass Justus’ Hand zitterte. Sein großer Bruder nahm die andere Hand zur Hilfe, legte sie auf die zittrige, um sie zu beruhigen. »Weißt du eigentlich …?« Justus zögerte. Seine Hand wurde langsam ruhig. Die Adern traten nicht mehr so deutlich hervor. »Dass ich kurz davor war, mich umzubringen?«
    Kopfschütteln.
    Justus’ Augen wurden feucht, als er weitersprach. »Ich hatte die Klinge schon angesetzt, dann stand sie hinter mir im Spiegel, und ich konnte nicht länger mir, sondern nur noch ihr in die Augen schauen.« Er gewann die Fassung langsam zurück und schaute sich im Raum um.
    »Sie hat es niemandem gesagt. Weißt du, was mir dieses Vertrauen bedeutet? Wegen ihr muss ich zu keinem Scheiß-Psychiater, der mich für die nächsten Jahre einweisen lässt. Das Gefängnis hier ist nur das Warten auf die Freiheit. Vielleicht lebe ich hier schon ein Stück freier als vorher.«
    Seine rechte Hand lag jetzt ruhig auf der kalten weißen Tischplatte. Die Finger der Linken strichen über jede einzelne Ader. »Als ich fünfzehn war, haben wir Mutproben gemacht. Mit einem Messer hundertmal zwischen die Finger – so schnell wie möglich. Ich hab es immer geschafft, während andere sich fast die Finger abgehackt haben.« Er tippte zwischen die gespreizten Finger, als wäre es eine scharfe Klinge, und traf jedes Mal die Lücke. »Ist das Mut? Nur weil du glaubst, die Angst für eine Sekunde besiegt zu haben. Wenn du mich heute fragst, hatte ich den größten Schiss, wenn es mal wirklich drauf ankam. Studium, Freundin … aber ich hab die Fresse so weit aufgerissen, um die verdammte Angst irgendwo zu verstecken.«
    Warum erzählte Justus das? Er hörte auf mit dem Fingerspiel und schaute hoch. »Bei meinen Freunden war ich der King. Keiner konnte das so gut wie ich. Aber zu Hause habe ich geheult wegen Mama und Papa.«
    Alex schloss unwillkürlich die Augen. Er war zehn, lag wieder in seinem Bett, hörte Schreie aus der Küche, schnelle Schatten im Licht, das unter dem Spalt zwischen Dielen und Tür hindurchschimmerte.
    »Julians Bruder Flo hat nie mitgemacht. Wir haben ihn als Angsthasen ausgelacht. Ich zuallererst. Mein bester Freund. Dabei war er so viel stärker als ich.«
    Alex nickte nur. »Ich hab ihn gestern gesehen. Er will dich auch besuchen, wenn du ihn sehen willst.«
    Justus musste keine Sekunde überlegen. »Na klar. Nächstes Wochenende, er kann sich sofort anmelden.«
    »Ich richt’s ihm aus.«
    Justus’ Blick wanderte zur Uhr. Noch eine Viertelstunde. Alex merkte ihm an, dass er noch etwas sagen wollte, was er die ganze Zeit hinausgezögert hatte. »Mir ist im Krankenhaus klar geworden, dass ich nicht der große Bruder war, den du gebraucht

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