Zwischen Ehre und Verlangen
Gürteltasche. Dann ging sie zum Fenster, blickte hinaus und stellte fest, dass der Salon zum Haupteingang hin lag. Im gleichen Moment bemerkte sie zu ihrer größten Überraschung Jared, der sich dem Portal näherte, und murmelte erleichtert: “Dem Himmel sei Dank!”
Sie pochte an die Scheibe, um ihn auf sich aufmerksam zu machen, doch er verschwand unter dem Portikus, ohne sie bemerkt zu haben.
Erschöpft ließ sie sich in einen Sessel fallen und erkannte jäh, dass Jared nichts von ihrer Anwesenheit im Haus wissen konnte. Folglich musste er von Lord Langham eingeladen worden sein, und das ließ nur den Schluss zu, dass er an dessen schändlichem Treiben beteiligt sein würde.
Unvermittelt vernahm sie, dass jemand die Tür zum Korridor aufschloss, sprang auf und gelangte noch rechtzeitig dahinter, sodass derjenige, der in den Salon gekommen war, sie nicht sofort sehen konnte. Sie hielt den Atem an, als die Tür geschlossen wurde, und meinte, den Augen nicht trauen zu können, als sie Jared erblickte. Froh, ihn zu sehen, lief sie zu ihm und rief halb schluchzend aus: “Jared!”
Schnell drehte er sich zu ihr um, schloss sie in die Arme und versuchte, sie zu besänftigen.
“Was machst du … wieso sind Sie hier?” flüsterte sie.
“Ich habe Sie gesucht”, antwortete er leise. “Beruhigen Sie sich! Sie sind in Sicherheit!”
“In Sicherheit?” wiederholte sie fassungslos. “In diesem Haus bin ich nicht sicher! Bringen Sie mich bitte fort. Und wie kommt es, dass Sie mich hier vermutet haben?”
“Als ich heimkehrte, erfuhr ich, dass eine Dame nach mir gefragt hatte. Der Beschreibung nach konnten nur Sie das gewesen sein. Da mein Butler den Eindruck gewonnen hatte, dass Sie aufgeregt waren, bin ich zu Ihrem Haus geritten und habe dort von Ihrer Zofe erfahren, Sie seien zu Langham gefahren. Als ich hier war und das Haus betreten wollte, hörte ich eine Scheibe klirren und nahm, ehe mir durch den Portikus die Sicht auf die Fassade geraubt wurde, flüchtig eine weibliche Gestalt wahr, die Ähnlichkeit mit Ihnen hatte. Da Langhams Dienstboten mich kennen, haben sie mich nicht weiter beachtet, weil sie mit den anderen Gästen zu beschäftigt sind. Daher konnte ich mich unbemerkt in die erste Etage begeben und wollte den Raum betreten, in dem ich die Frau bemerkt hatte. Zu meinem Erstaunen war er versperrt, ein Umstand, der mich in dem Verdacht bestärkte, dass Sie hier eingeschlossen sind. Hat Langham Sie belästigt?”
“Nein”, antwortete Amanda und schmiegte sich Schutz suchend an Jared. “Er hat nur in sehr rüder Weise mit mir geredet und angedeutet, ich müsse mich seinen Wünschen fügen.”
“Dafür ziehe ich ihn zur Rechenschaft!”, sagte Jared gepresst.
“Nein, bitte nicht!”, flehte Amanda. “Ich möchte nicht in einen Skandal verwickelt werden. Etliche Leute wissen nämlich, dass ich hier bin, weil ich mich bei ihnen nach dem Weg erkundigt habe. Es ist also bekannt, dass ich freiwillig hergekommen bin.” Amanda hielt inne und überlegte, wie sie Jared berichten solle, dass seine Angebetete im Haus war. “Ich weiß nicht, Sir, wie ich es Ihnen sagen soll”, begann sie zögernd, “aber Miss Poste ist ebenfalls hier. Und ihren Äußerungen zufolge ist sie … Lord Langhams … Mätresse. Ich bedauere, Ihnen mitteilen zu müssen, dass sie auf mich sehr … verdorben gewirkt hat.”
“Das wundert mich nicht”, murmelte Jared düster. “Das liegt an ihrer Erziehung. Und daher war ich auch nicht erstaunt, als sie sich mit Langham eingelassen hat.”
“Das wussten Sie?” fragte Amanda überrascht.
“Ja, das war mir seit Monaten bekannt”, räumte Jared ein. “Ihrer Mutter zuliebe habe ich jedoch versucht, sie auf den rechten Weg zu bringen.”
“Ihrer Mutter wegen?” wiederholte Amanda verwirrt. “Sie hat erwähnt, dass Sie ihrer Mutter wegen das Recht zu haben glauben, ihr Vorhaltungen machen zu dürfen, sie es jedoch leid sei, sich Ihre Tiraden anhören zu müssen. Ich verstehe den Zusammenhang nicht.”
“Er ist schnell erläutert”, erwiderte Jared. “Sie erinnern sich vielleicht, dass ich mich, nachdem Sie mir von Ihrer Ehe mit einem sehr viel älteren Mann erzählt hatten, plötzlich an eine Frau erinnerte und sehr ärgerlich war. Das war Dianas verstorbene Mutter, meine vier Jahre ältere Großcousine, die Clarissa hieß. Zunächst war sie für mich wie eine größere Schwester, doch irgendwann habe ich mich in sie verliebt. Mit den Jahren habe ich begriffen,
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