Zwölf Wasser Zu den Anfängen
musste.
»Ich muss zu Jator, ich habe es schon zu lange aufgeschoben«, sagte Babu zu sich selbst.
»Und wir gehen jetzt gleich«, fügte er mit Blick auf den Vogel hinzu, dem der Wind das Brustgefieder zauste.
Babu stieg ab und ging, Juhut auf der Faust, um Jators Haus herum. Er setzte sich auf einen Steinstapel und wartete. Juhut ließ sich auf der niedrigen Umzäunung des Ziegenpferchs nieder und döste, der Flug hatte ihn angestrengt. Auch Babu fielen die Augen zu und er war fest eingeschlafen, als sich Dornen des Schmerzes in seine Augäpfel bohrten: »Kommt.«
Babu riss die Augen auf, schluckte den Speichel herunter, mit dem sich sein Mund gefüllt hatte, und richtete sich auf. Einen Herzschlag später trat Jator zur Hintertür heraus. Er sah nicht gut aus. Das struppige Haar noch zerzauster als üblich und nicht geflochten, die Kleider schmutzig. Er schwankte kaum merklich, offenbar hatte er bereits einige Bier getrunken. Babu erhob sich.
»Jator, mein Freund, wie geht es dir?«
»Bestens. Was tust du hier, Babu?«
Er musterte Babus Falknerweste und warf einen Blick auf Juhut, der nun hellwach die Szene beobachtete.
»Ich wollte«, begann Babu wieder, »etwas mit dir besprechen.«
»Schieß los.« Sie setzten sich.
»Wie du dir denken kannst«, sagte Babu, »kann ich nicht beides – mich um die Kafur kümmern und mit Juhut jagen gehen.«
»So, so, Juhut hast du ihn genannt«, murmelte Jator ins Gras.
»Ja. Aber um ihn geht es nicht. Es geht um dich, Jator. Ich brauche deine Hilfe.«
Babu machte eine Pause, aber Jator schwieg und schaute ihn nicht an.
»Ich wollte dir meine Herde überlassen, aber ich weiß, das würdest du nicht annehmen. Also bitte ich dich, sie lediglich in Obhut zu nehmen. Gegen einen gerechten Lohn. Fünf Kälber sind im Solder dein. Die Herde ist jetzt nur noch halb so groß und du, Jator, bist ein guter Hirte. Es wird ein Leichtes für dich sein. Wir können auch wieder zusammen reiten, wie früher, wenn du sie zum Grasen treibst und Juhut auf Jagd ist … Ich habe nicht vor, zu Fuß zu gehen. Was denkst du?«
Jator blickte auf: »Dann willst du nicht fort? Du willst hier bleiben, im Tal? Bei uns?«
»Das will ich. Das muss ich … Aber du, musst du nun für Kager hüten? Kannst du mir denn helfen, ohne dass Tascha –«
»Ach, vergiss Tascha.« Jator lächelte und Babu erkannte endlich seinen alten Freund wieder. »Gern nehme ich das Angebot an, Babu. Ich lasse dich nicht im Stich. Du kannst deine Kafur nicht behalten, wenn ich dir nicht helfe – was gibt es also noch zu bedenken? Kager kommt ganz gut ohne mich zurecht, er wird sogar froh sein. Du musst wissen, dass ich mich nicht besonders angestrengt habe die letzte Zeit. Du bist wahrscheinlich der Einzige im Langen Tal, Babu, der mich noch für einen guten Hirten hält.«
Babu lachte und sie reichten sich die Hand. Dann umarmten sie sich.
»Also ist es abgemacht?«, fragte Babu, als sie sich voneinander lösten. Er konnte Jator nicht ansehen. Die Umarmung hatte ihn seltsam verlegen gemacht.
»Abgemacht, beschlossen, versprochen. Morgen früh bin ich am Pferch und wecke dich.«
»Ich bin sehr froh, Jator.«
Das stimmte, Babu war erleichtert. Alles kam wieder ins Lot. Jator grinste und gab Babu einen Schlag auf die Schulter.
»Wir sehen uns morgen!«
Babu saß auf, hob den Arm und Juhut kam angeschwebt. Jator wich einen Schritt zurück, als der Schatten des großen Vogels auf ihn fiel, und Babu ritt davon, ohne sich noch einmal umzuschauen.
SECHSTES KAPITEL
DER MÖRDER STIRBT
Es war einer der letzten warmen Abende dieses schier endlosen Lenderns, die Wolkendecke war aufgerissen und ließ die Strahlen der untergehenden Sonne in einem Lichtkranz am Himmel erblühen, als Babu und Jator ihre Gelbhuhnmahlzeit unterbrechen mussten. Ein Reiter kam herangeprescht, kaum dass sie die Hühner von den Spießen gezogen hatten.
»Endlich habe ich Euch gefunden, Badak-An-Bughar«, keuchte der Reiter, den Babu als einen der Söhne des Gerbermeisters Dant erkannte. »Ich muss Euch bitten, mir zu folgen.«
»Worum geht es? Ist etwas mit Dant?«
Der Reiter zögerte.
»Sprich nur, es gibt nichts, was mein Freund hier nicht hören dürfte.«
»Ich habe Anweisung, nur Euch und nur Euch
allein
diese Botschaft zu überbringen.« Er überlegte. »Aber nun gut, ich habe schon zu viel Zeit mit der Suche nach Euch verloren. Meinem Vater geht es gut, aber Kank liegt im Sterben. Er will Euch unbedingt
Weitere Kostenlose Bücher