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Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Zwölf Wasser Zu den Anfängen

Titel: Zwölf Wasser Zu den Anfängen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: E Greiff
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mein Mann. Er ist in den Minen, Kohlen schlagen.«
    Felt blickte zum Merger, der zur Bestätigung nickte. Simlid verfolgte den Blickwechsel wachsam wie ein Tier. Felt wusste, dass die Familie es nicht leicht hatte, die Kohle lag tief im Berg, noch unter dem Erz, und die Schichten für die Kohleschläger waren hart. Aber der Merger hatte seine Anweisungen. Felt musste eine Entscheidung treffen. Er legte den Handschuh auf den Schwertgriff, eine Bewegung, die Simlid nicht entging.
    »Tritt beiseite, Simlid.«
    Sie rührte sich nicht. Felt machte einen Schritt auf sie zu. Der geschmolzene Schnee von seinen Stiefeln hinterließ zwei dunkle Pfützen auf dem glatten Steinfußboden.
    »Ich werde ihn bestimmt nicht wecken«, sagte er. »Ich werde ganz leise sein.«
    Simlid schaute zu ihm auf, sah in die steingrauen Augen und ihr Widerstand brach. Sie senkte den Kopf, trat beiseite und Felt öffnete die Tür. Die Kammer war vollkommen dunkel und es war beinahe so kalt hier drin wie draußen auf der Gasse.
    »Bring mir eine Lampe, Merger«, befahl Felt. Die Kältelegte sich wie ein Tuch auf sein Gesicht. Im Schein der Lampe sah Felt das schön geschmiedete Eisenbett, das die Familie gemeinsam nutzte. Unter Decken und Fellen zeichnete sich der Körper eines Jungen ab, höchstens acht Soldern alt. Er schlief tief und fest. Felt sah zu Simlid, die immer noch ihre Tochter im Arm trug, als hielte sie sich an dem Kind fest und nicht es an ihr. Felt trat ans Bett, stellte die Lampe ab und zog sein Schwert. Simlid holte pfeifend Luft, wollte zum Bett, zwischen Schwert und Sohn. Der Merger griff nach ihr. Felt hielt die blanke Klinge des Schwerts unter Mund und Nase des schlafenden Kindes.
    Er wartete lange, aber schon während er mit Simlid gesprochen hatte, hatte er geahnt, wie diese Probe ausgehen würde. Kein Hauch schlug sich nieder auf dem schwarzen Stahl. Der Junge war tot.
    »Dein Kind wird heute ins Feuer gehen«, sagte Felt und richtete sich auf. Simlid schaute ihn entgeistert an, so, als ob der Tod ihres Kindes gerade eben erst, durchs Aussprechen der Worte, wahr geworden wäre.
    »Wusste ich doch, dass sie mich betrügen will«, sagte der Merger zufrieden und zog sein Buch aus dem Ärmel, um den jungen Lerd aus der Bezugsliste zu streichen. »Wie gut, dass Ihr gerade in der Nähe wart.«
    »Simlid.«
    Die Frau hielt den Kopf gesenkt.
    »Simlid«, wiederholte Felt, »du weißt, dass du dich eines schweren Vergehens schuldig gemacht hast?«
    Sie reagierte nicht. Aber Felt wollte, dass sie verstand, was nun auf sie zukam. Er fasste ihr Kinn und hob den Kopf. Ihre Augen waren übergroß in dem mageren Gesicht, sie sah aus wie ein Vogel.
    »Du hast versucht«, sagte Felt ruhig, »deinen Sohn zum Dieb zu machen. Denn nichts anderes wäre er gewesen, wenner bekommen hätte, was ihm nicht zusteht. Hätte Lerd seine Ration seiner Schwester gegeben? Wahrscheinlich, denn er braucht nun nichts mehr. Er ist tot. Und er ist unschuldig geblieben. Du aber wirst nun an seiner statt deine Ration deiner Tochter geben.«
    Er ließ Simlid los, der Kopf fiel ihr auf die Brust wie bei einer Stoffpuppe, deren Hals vom vielen Spielen dünn geworden war. Der Merger kritzelte in seinem Buch: »Also zwei Rationen hier, wie lange?«
    »Eine Zehne«, antwortete Felt knapp und verließ ohne ein weiteres Wort das Haus.
    Die Sonne stand noch im Berst, der Tag war jung und in den engen Gassen von Goradt saß der Dämmer. Schneegriesel drehte sich in der eisigen Luft, der ohnmächtige Gruß des nächtlichen Sturms, ein letztes Täuschungsmanöver, der Firsten würde seinen frostigen Griff bald lockern müssen. Felt hob das Gesicht gegen den Himmel und der Wind streute ihm Eiskristalle auf die geschlossenen Lider. Zeit, frühstücken zu gehen.
     
    Im hohen, nackten Stein war keine Stille. Ein stetes Pfeifen und Raunen kam aus den Felsklüften, ein Flüstern, Rauschen und Singen von den Berstfällen, wo das Wasser der Lathe zwischen von eisigen Winden zernagten Felstürmen in die unabsehbare Tiefe stürzte. Goradt, die graue Stadt, hockte mit krummem Rücken auf einem Plateau und klammerte sich trotzig in die steilen Felshänge, den Kopf gesenkt. Es gab nichts zu sehen. Im Westen verstellten die Höhenzüge der Randberge den Blick und im Osten   – war nichts. Oder der Berst. Der Berst oder das Nichts, das war eins. Denn der Berst war ein Abgrund unermesslichen Ausmaßes, eine undurchdringliche, sich beständig kräuselnde Wolkendecke verbarg den tiefen

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