0006 - In den Klauen der Mumie
erwarten.
Gedankenverloren schüttelte er den Kopf und schloß den Schatullendeckel wieder über dem funkelnden Talisman.
Er konnte nicht ahnen, daß im Theater schließlich doch noch unheimliche Kräfte auftreten sollten…
***
Millie Springs sah alles ganz deutlich. Trotzdem hatte sie das Gefühl, zu träumen. Es wollte nicht in ihren Kopf, was sie sah. Es war einfach unbegreiflich.
Sie sah mit weit aufgerissenen Augen zu, wie die Mumie ihre Freundin erwürgte.
Sie glaubte, einen Alptraum mitzuerleben. Ihr Herz raste. Sie wollte fortlaufen, doch ihre Beine schienen Wurzeln geschlagen zu haben.
Entsetzlich kalt war dem Mädchen. Benommen starrte Millie auf die grauenvolle Szene. Tränen quollen aus ihren Augen.
Olga Baxter schlug mit ihren kleinen Fäusten nach dem unheimlichen Mörder. Jeder Schlag, der die bandagierte Mumie traf, ließ eine dunkelgraue Staubwolke aus dem Verband aufsteigen.
Es hörte sich an, als würde Olga auf einen prall gefüllten Sandsack schlagen.
Sehr schnell erlahmte der Widerstand des unglücklichen Opfers. Die Armbewegungen wurden fahrig. Schließlich waren sie nur noch ein unkontrolliertes Zucken. Und dann hingen die Arme des Mädchens schlaff herab. Wie von einer kaputtgegangenen Stoffpuppe.
Millie Springs drohte den Verstand zu verlieren.
Als die schreckliche Mumie ihr Opfer zu Boden fallen ließ, löste sich die bleierne Lähmung aus Millies fieberndem Körper.
Schon wandte sich die mordlüsterne Mumie ihr zu.
Millie wich kopfschüttelnd zurück.
»Nein!« ächzte sie. »Nein! Ich will nicht sterben! Nein!«
Sie wirbelte herum und begann, um ihr gefährdetes Leben zu laufen. Deutlich hörte sie hinter sich die schweren Schritte des grauenvollen Monsters. Sie rannte, so schnell sie konnte, wandte sich nicht um, lief, lief, lief.
Büsche flogen an ihr vorbei, Bäume. Dann erreichte sie einen hellen Weg, auf dem geharkter Kies lag. Jeder ihrer schnellen Schritte knirschte. Sie rutschte auf dem Kies aus und wäre um ein Haar hingefallen. Hinter ihr knirschten die Schritte der schrecklichen Mumie, die auch sie töten wollte.
Die Schritte trieben sie zu noch größerer Eile an. Sie lief so schnell, wie sie noch nie in ihrem jungen Leben gelaufen war. Sie glaubte, irgendwann tot umfallen zu müssen, so verausgabte sie sich.
Mit hämmernden Lungen erreichte sie ein offenstehendes schmiedeeisernes Gittertor. Mit einem wilden Satz sprang sie hindurch und keuchte über die graue Fahrbahn. Ein Wagen schoß von rechts heran. Der Fahrer mußte blitzschnell auf die Bremse treten. Die Pneus quietschten schrill und schmierten dicke schwarze Striche auf den Asphalt. Millie Springs hatte die Straße bereits überquert, blieb nicht stehen, lief schnaufend weiter. Der Fahrer schrie ihr wüste Verwünschungen nach, um sich abzureagieren. Sie beachtete ihn nicht, stürmte, schon fast völlig ausgeflippt, um die nächste Ecke und prallte gegen die Brust eines hochgewachsenen Mannes.
Sie stieß einen entsetzten Schrei aus und taumelte zurück.
Da erkannte sie, daß sie mit einem Polizisten zusammengestoßen war.
Der Mann war dick und verzog sein rundes Gesicht zu einem Lächeln.
»Nun mal langsam, Miß«, sagte er lachend. »Sie können doch an einem so schönen Abend keinen harmlosen Polizisten über den Haufen rennen.«
»Hilfe!« stöhnte Millie Springs bestürzt. »Hilfe!« Sie japste nach Luft. Schweißüberströmt war ihr hübsches Gesicht, das nun von Furcht und Schaudern schrecklich verzerrt war.
»Was ist denn mit Ihnen?« fragte der Polizist erstaunt. »Ist Ihnen nicht gut? Oder wollte Sie jemand belästigen, Miß?«
Millie wollte alles auf einmal erzählen. Das war natürlich nicht möglich. Deshalb verstand der Uniformierte auch kein Wort, als sie keuchte: »Synagoge… Park… Mumie… Olga… Olga Baxter… Sie ist… Die Mumie hat sie… Bei der Synagoge… Sie müssen schnell… Kommen Sie… Schnell…«
Der Polizist lächelte gütig und legte dem Mädchen beruhigend seinen Arm um die bebenden Schultern. Millies Beine drohten ihr beinahe den Dienst zu versagen. Sie mußte sich schwer zusammenreißen, um nicht zusammenzuklappen. Gehetzt schaute sie zurück, erwartete, daß schon in der nächsten Sekunde die schreckliche Mumie um die Ecke kam.
Doch niemand kam.
»Beruhigen Sie sich erst mal, Miß«, sagte der Polizist eindringlich. »Versuchen Sie sich zu beruhigen. Und dann erzählen Sie mir schön der Reihe nach, was geschehen ist, was Sie so sehr erschreckt
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