0009 - Der Hexenmeister
sein Glas und zerschmetterte es an der Wand.
»Scherben bringen Glück«, grinste er. »Und wenn nur die Hälfte von dem stimmt, was ihr über die Basilika faselt, kann ich alles Glück der Welt gebrauchen. Obgleich es mir schwerfällt, an solch einem sonnigen Tag an Gespenster zu glauben. Bis jetzt ist mir noch nie eines begegnet. Ich vermag auch jetzt noch nicht recht daran zu glauben.«
Erschrocken verschloß Odile Blanche mit ihrer kühlen kleinen Hand Lassus den Mund.
»Du darfst es nicht berufen«, sagte die rote Hexe. »Und tu mir den Gefallen: Schlag dir diesen Plan aus dem Kopf. Nur einer kann den Kampf dort oben für uns austragen: Professor Zamorra. Wenn er scheitert, müssen wir für immer mit Manasse und seinen Gespensterreitern leben.«
»Das schaue ich mir an«, entgegnete Romain Lassus entschlossen.
Es war schwer zu sagen, was ihn dazu bewog. War es der Wunsch, nicht hinter Professor Zamorra zurückzustehen? Wollte er dem hübschen Mädchen imponieren, das neben ihm saß?
»Ich flehe dich an, tu es nicht«, seufzte Odile Blanche. »Mir zuliebe. Ich weiß, was ich sage!«
»Komm doch mit«, grinste Romain Lassus. »Das wird ein hübscher Spaziergang, Odile.«
»Sie sollten das nicht auf die leichte Schulter nehmen«, warnte Vincent Valadin ernst. »Hören Sie auf Odile. Sie ist eine Hex… – ach, verzeihen Sie, Odile!«
»Unsinn!« schnaubte Romain Lassus und erhob sich. »Komm mit, Odile! Immerhin könnte dieses Kameradenschwein Armand da oben sein. Mit dem habe ich ein Wort zu reden!«
Er ging zur Tür. Dort drehte er sich noch einmal um und streckte die Hand aus.
Odile Blanche blickte ihn traurig an. Dann erhob sie sich bleich und stumm. Sie eilte zu Romain Lassus. Sie konnte ihm die Bitte nicht abschlagen…
***
Professor Zamorra blickte unverwandt auf die Trümmer der Basilika, während er den Berg hinaufstieg. Dieses Bauwerk war die Zuflucht des Bösen. Hier hatten sich entsetzliche Dinge abgespielt. Zunächst waren die Königlichen Truppen und die Söldnerhaufen des Erzbischofs nicht gerade zimperlich mit den Ketzern umgesprungen, dann hatte der schreckliche Manasse das Zepter erhoben und das Land terrorisiert. Es wurde Zeit, daß jemand dem scheußlichen Spuk ein Ende bereitete.
Die Stille innerhalb der rauchgeschwärzten Reste des Bauwerks war unheimlich. Es schien, als halte alles den Atem an. Vielleicht war es die berühmte Ruhe vor dem Sturm.
Eine weiße Schlange schoß aus ihrem Versteck. Sie verschwand in dem gleichen Felsspalt, den sie Bill Fleming angezeigt hatte. Und Professor Zamorra verstand.
Das Gesicht des Dämonenjägers war ernst. Er unterschätzte die Gefahr nicht. Er durfte sich nicht den winzigsten Schnitzer leisten.
Irgendwo im Hintergrund lauerte Manasse. Der Seher der ›Loge der Verzehrenden Wahrheit‹ gab sich nicht geschlagen. Er wartete geduldig auf seine Chance. Hier war für ihn vertrautes Gelände. Auch das war ein Vorteil für den schwarzen Abt.
Entschlossen stieß Zamorra in das Labyrinth vor, näherte sich dem Zentrum des Mysterienkults. Er gelangte wie vor ihm der wissensdurstige, aber wesentlich ahnungslosere Amerikaner an das wassergefüllte Felsloch, tief unten im zerschundenen Leib des Col de la Chutte.
Professor Zamorra zögerte. Er erkannte wohl die Gefahr, aber er konnte sich keinen anderen Zugang suchen. Er stand unter Zeitdruck. Es galt, Nicole Duval so schnell wie möglich aus den Klauen dieses Unholds zu befreien.
Zamorra ließ sich in das kalte Wasser gleiten. Er tauchte. Mit kräftigen Schwimmzügen näherte er sich dem leuchtenden Kreuz der Albigenser, das den Ausstieg markierte.
Auf dem Grund des unterirdischen Sees lagen bleiche Gerippe, vielleicht Opfer vorhergegangener Scharmützel.
Oder die Helfershelfer Manasses, die darauf warteten, den Angreifer zu sich herunterzuziehen?
Letzteres war der Fall.
Wie auf Kommando erhoben sich die Untoten, die Gerippe entfalteten sich, erhoben sich zu voller Größe, stürzten sich triumphierend auf den Eindringling.
Knochenhände griffen nach Zamorra. Leere Augenhöhlen näherten sich ihm. In einem schwerelosen, schwebenden Tanz umzingelten ihn die Knochenmänner, Kreaturen des mächtigen Manasse.
Sie hängten sich an Zamorra, sie umschlangen ihn, sie zogen ihn tiefer, fort vom rettenden Kreuz.
Mit letzter Kraft riß Zamorra sein Hemd auf. Sein Amulett kam zum Vorschein.
Bleiche Gerippe prallten zurück. Eiskalte Totenhände lockerten ihren Griff. Totenschädel wandten sich zur
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