0010 - Der endlose Tod
Sache auf die leichte Schulter zu nehmen…«
Ein gedämpftes Raunen ging durch den Zuschauerraum.
Dadurch wurde Hannibal Koch aus seiner Meditation gerissen. Er hob den Kopf und ließ die schwere Kristallkugel langsam sinken. Gleichzeitig nahm er den Lichtstrahl von Johns Gesicht.
Als er sich vor seinem Publikum verneigte, umbrandete ihn stürmischer Applaus. Die Leute jubelten, pfiffen und trampelten mit den Füßen, so begeistert waren sie von den Darbietungen des außergewöhnlichen Hellsehers, der ihre Herzen im Sturm erobert hatte.
»Dunkle Schatten!« knurrte Suko mit schmalen Augen. »Unheil am Horizont. Was hat er damit gemeint?«
John erhob sich. »Er wird es uns erklären, wenn wir ihn in seiner Garderobe aufsuchen. Komm mit.«
***
Im Schweiß gebadet verließ Hannibal Koch die Bühne, nachdem er sich etwa zehnmal vor dem Vorhang verbeugt hatte. Susan drückte ihm einen innigen Kuß auf die glänzende Wange und sagte lachend: »Du hast dich heute abend mal wieder selbst übertroffen, Vater. Du warst großartig. Einfach Spitze. Die Leute sind begeistert. Mag sein, daß einige als Skeptiker gekommen sind, aber sie gehen alle mit der Überzeugung nach Hause, einen großen, außergewöhnlichen Mann auf der Bühne gesehen zu haben.«
Hannibal Koch ließ sich schwach lächelnd von seiner Tochter zur Garderobe führen. Nach seinen Auftritten war er immer furchtbar erschöpft, und diesmal war es besonders schlimm. Er hatte Mühe, aufrecht zu gehen. Die Knie wollten unter der Last seines Körpers immer wieder einknicken.
Susan legte sich den Arm des Vaters auf die Schulter und schlang ihren Arm um seine Mitte. »London liegt dir zu Füßen. Dad. Hab’ ich nicht gesagt, wir sollten hier länger als zwei Tage bleiben? Zwei Wochen wären die Vorstellungen ausverkauft gewesen. Sag’ in Glasgow ab. Hängen wir hier zwei weitere Tage an.«
»Das kommt nicht in Frage, Susan«, sagte Koch trotz seiner Erschöpfung ziemlich energisch. »Du weißt, daß ich meine Termine einzuhalten pflege.«
»Das viele Herumreisen macht dich mürbe.«
»Es ist nicht das Reisen, Kind…«
»Doch, das ist es auch. Früher warst du nach deinen Auftritten nie so fix und fertig.«
»Ich werde nicht jünger…«
»Du bist einer ständigen Hetzjagd ausgesetzt. Zwei Tage Rom, drei Tage Paris, ein Tag Madrid… Du gönnst dir keine Verschnaufpause mehr. Laß dich doch von Saul Becker, diesem schmierigen Manager, nicht verheizen. Er gibt dir nichts, wenn du nicht mehr arbeiten kannst. Der läßt dich fallen, wie eine heiße Kartoffel und nimmt einen anderen Hellseher unter Vertrag.«
Sie erreichten die Garderobentür. Susan stieß sie auf. Hannibal Koch legte die Kristallkugel, die von unschätzbarem Wert war, auf den Schminktisch und sank dann ächzend auf den Hocker nieder. Müde und abgespannt betrachtete er sein Antlitz im Spiegel. Graue Ringe lagen unter seinen Augen. Die Falten wirkten heute tiefer als sonst. Wie ein Spinnennetz lagen sie auf seinem Gesicht. Susan hatte recht. Er verausgabte sich zu sehr, und er konnte sich nicht einmal selbst genau erklären, warum er das machte.
Da schwelte seit einiger Zeit eine bohrende Angst in seinem Unterbewußtsein. Allen anderen Menschen konnte er die Zukunft voraussagen, nur sich selbst nicht. Und er ahnte, daß in seiner Zukunft eine Gefahr lauerte, über die er sich Sorgen machen mußte.
Vielleicht war das der Grund, weshalb er so viel arbeitete.
Erstens, um bei der Arbeit die Angst zu vergessen. Und zweitens, um so viel Geld wie nur irgend möglich zu verdienen. Für Susan. Damit sie eine gesicherte, finanziell unabhängige Existenz hatte, wenn er nicht mehr war.
Susan wies auf das Sofa, das hinter der Tür stand. »Du solltest dich ein wenig hinlegen, Vater.«
»Gleich«, antwortete Hannibal Koch mit leiser Stimme. »Ich will mich nur noch abschminken.«
Er griff nach dem kleinen Cremetiegel, den er dazu brauchte. Als er ihn öffnen wollte, fiel sein Blick zufällig auf die magische Kugel. Im selben Moment weiteten sich seine Augen in grenzenloser Verblüffung. Sein Atem stockte. Verdattert stieß er hervor: »O Gott! O mein Gott!«
***
Curro stieß ein nervenzerfetzendes Gebrüll aus, und plötzlich wuchsen wie Pilze schreckliche Gestalten aus dem Boden. Sie waren gedrungen, leuchteten grün, hatten häßliche Fratzen und gefährliche, dürre Klauen. Aus ihren Mäulern, in denen sägeblattähnliche Zähne blitzten, kam ein unheimliches Fiepen.
Als die Wikinger diese
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