0018 - Die Hexenschwestern
Professor?«
»Türkei«, sagte Zamorra leise, wie abwesend. »Zweimal Ankara«, setzte er ebenso leise hinzu.
Zehn Minuten später waren Zamorra und seine Sekretärin unterwegs.
***
Es war ein Oktobertag, häßlich, düster, unheimlich wie die Pforten der Hölle. Über dem Fluß Halys hatten sich schon am Vormittag schwarzgraue Wolkenberge aufgetürmt. Jetzt, gegen Abend, brach das Unwetter los wie ein Inferno. Ein Inferno von Donner, Blitzen und wolkenbruchartigen Regengüssen entlud sich über der alten Hethiterstadt Chattusa und der neuen Siedlung gleichen Namens.
Vor sechs Jahren erst hatten die Türken diese neue Stadt erbaut. Sie lag nur zwei Kilometer von der alten, historischen Niederlassung entfernt.
Jetzt aber war die Stadt nur durch dichte Schleier von Wolken und herabstürzenden Wassern zu sehen. Die Zedern am Fluß bogen sich unter dem anpeitschenden Sturm. Nur eine Stunde brauchte das schäumende Wasser, um die morschen Felsen auszuhöhlen. Sturzbäche ergossen sich in die Felsenrisse, gruben sich tiefer und tiefer, fraßen sich in den Stein wie in morsches Holz. Dann stürzten die Wände der Felsen krachend herab, begruben Bäume und Hütten unter sich, klatschten mit ohrenbetäubendem Krach in die Fluten des Halys, der jetzt schon weit über seine Ufer trat.
Es war ein Unwetter, wie es die Bevölkerung in dieser harten und öden Gegend noch nie erlebt hatte. Dunkel drohten die Wolkenbänke, schwarz und hoch wie das massige Gebirge am Horizont.
Die Fluten des Halys rissen alles mit, was sich ihnen entgegenstellte. Zäune brachen unter ihrer Wucht, Bäume wurden entwurzelt und trieben durch die überfluteten Straßen der Stadt. Ställe von Hühnern und Gänsen wurden wie Bettfedern aus den Gärten geweht und trieben auf den gischtenden Kämmen des reißenden Stroms. Der Halys trieb die letzten vereinzelten Menschen von den Straßen. Er wurde breiter und breiter und war bald wie das große Meer hinter dem Gebirge. Das dunkle, tiefe, unergründliche Meer.
Das Meer, in das sich der tobende Halys stürzte. Wie Lava über die gepeinigte Erde.
Der geheimnisvolle und dunkel schäumende Fluß Halys. Der Vernichter und Menschentöter. Der wütende Strom, der sogar das Meer aufwühlte, wo er sich aus der Felsenbucht hinunterstürzte. In das Meer, das die Leute das Schwarze nannten. Das brüllende, tobende Schwarze Meer, das sich aufbäumte unter den harten Fäusten eines erbarmungslosen Sturmes.
***
Von Üyük her, einem kleinen Dorf nördlich von Chattusa, war der Polizeileutnant Achmud Haddur in Richtung Stadt unterwegs.
Mühsam erkämpfte er sich seinen Weg mit dem Fahrrad. Die alte, klapperige Mühle ächzte bei jedem Tritt in die Pedale. Der Sturm drohte dem Leutnant die Lenkstange aus den Händen zu reißen.
Nur mit aller Kraft konnte der Mann die Gewalt über das altersschwache Fahrzeug behalten. Fast versagten schon seine Beine. Aber tapfer, mit geneigtem Kopf im Sattel kauernd, mit zusammengebissenen Zähnen, mühsam nach Luft ringend, strampelte er sich Meter um Meter voran.
Der Leutnant hatte sich in den Kopf gesetzt, noch vor Einbruch der Dämmerung das Grab seines Sohnes zu erreichen. Davon sollten ihn weder Sturm noch Unwetter abhalten. Der Sohn, der wie er auf den Namen Achmud hörte, war vor vierzehn Tagen bei einem Unfall ums Leben gekommen. Er war auf den regennassen Schiefersteinen des neuen Rathauses ausgeglitten und in die Tiefe gestürzt. Jede ärztliche Hilfe war zu spät gekommen.
Der Polizeileutnant Achmud Haddur konnte sich vorstellen, in welchem Zustand er das Grab seines Sohnes vorfinden würde. Der Wind hatte bestimmt alle Kränze und Pflanzen zerfetzt und verweht. Und die kleine Lampe, das Windlicht neben dem Grabstein, war mit Sicherheit längst ausgeblasen.
Jetzt erreichte Achmud den Stadtrand von Chattusa. Entsetzt sah er auf die Wassermassen, die sich aus der Enge der ersten Straßen stürzten und die Wiesen vor der Stadt überfluteten. Schnell wandte er sich nach rechts. Er riß den Lenker herum und versuchte die Stadt zu umgehen. Es würde ein weiter Weg für ihn werden. Aber er mußte einsehen, daß er sich den wütenden Elementen nicht entgegenstellen konnte.
Dachschindeln und Mauerbrocken fielen zu beiden Seiten von Haddur in die Straßenschächte, die zu kleinen Flüssen geworden waren. Der Leutnant nahm alle Kraft zusammen und entging mit Mühe dem Steinschlag eines alten Hauses, das von den Fluten untergraben wurde und mit Getöse zusammenbrach. Weithin
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